Bürgerinformationssystem
Sachverhalt: Die Hansestadt Lüneburg begrüßt neue Mobilitätsformen, die geeignet sind, die Verkehrswende voranzutreiben und damit einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Hierzu zählt auch die geteilte Mobilität, da die durch die Herstellung ausgestoßenen Emissionen einer vielseitigen Nutzung zugute kommen bzw. auf eine hohe Anzahl an Nutzern verteilt werden und so die vorhandenen Ressourcen effizienter eingesetzt werden.
E-Scooter sind seit Inkrafttreten der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) am 15. Juni 2019 Teil einer großen Debatte über Nachhaltigkeit und Sicherheit im Verkehrsraum. Während sie bereits in vielen Städten zu finden sind und in noch mehr Medienbeiträgen sowie in Studien Gegenstand des öffentlichen Diskurses sind, sind sie in der Hansestadt Lüneburg bisher nur im privaten Gebrauch zu finden. In welchem Umfang diese Scooter die verschiedenen Verkehrsträger wie Auto, ÖPNV oder die aktive Mobilität tatsächlich ersetzen, wird von Studien unterschiedlich bewertet. Nur in Teilen ist dieser Ersatz aber wirklich nachhaltig. Medienberichte zeigen, dass die E-Scooter, dort wo sie zum Verleih angeboten werden, oft den Gehweg - stehend oder liegend - versperren, was besonders für mobilitätseingeschränkte Mitbürger:innen gefährlich werden kann. Darüber hinaus gibt es Berichte über mutwillige Zerstörung der Gefährte und gefährliche oder unsichere Fahrten (zum Teil verbotswidrig auf Gehwegen) mit hohem Gefährdungspotential für andere Verkehrsteilnehmer und die Nutzer selbst, so dass E-Scooter in der jüngeren Vergangenheit insgesamt einer kritischen Betrachtung unterzogen sind. Gleichwohl handelt es sich in der Realität um eine relativ neue Mobilitätsform, der nicht von vornherein das Potenzial für eine nachhaltige Integration in den Mobilitätsalltag abgesprochen werden kann bzw. sollte.
Seit mehr als zwei Jahren bekunden mehrere Anbieter von free-floating E-Scooter-Verleihsystemen Interesse für einen Betrieb in der Hansestadt, so dass gegenüber diesen Verleihsystemen eine städtische Positionierung geboten ist.
Auf Grundlage eines Beschlusses des OVG Münster vom 20.11.2020 (Aktenzeichen 11 B 1459/20) folgt die Verwaltung der Ansicht, dass der Betrieb eines free-floating Verleihsystems von Fahrzeugen eine straßenrechtliche Sondernutzung darstellt und somit nach § 18 Abs. 1 Satz 2 NStrG erlaubnispflichtig ist. Die Rechtspechung begründet dies damit, dass im free-floating-System, in dem die E-Scooter üblicherweise angeboten werden, die Nutzung des öffentlichen Raumes ein elementarer Bestandteil des Geschäftsmodells ist. Ein älteres Urteil des OVG Hamburg aus dem Jahr 2009 kommt in Bezug auf den Verleih von Fahrrädern zu dem gegenteiligen Ergebnis und ordnet das Abstellen von Fahrrädern im öffentlichen Straßenraum – auch für Vermietzwecke – dem erlaubnisfreien Gemeingebrauch im Sinne des Straßenrechts zu.
Aus dieser Rechtsprechung resultieren in der Praxis unterschiedliche Herangehensweisen, um das o.g. Konfliktpotential möglichst gering zu halten. Hauptziele sind dabei die Gewährleitstung der Verkehrssicherheit, ein geordnetes Stadtbild und der Ausgleich konkurrierender Interessen der Nutzer:innen des öffentlichen Straßenraums.
a) Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis und/oder öffentlich-rechtlicher Vertrag Gestützt auf die Rechtsprechung des OVG Münster wird zum Abstellen der E-Scooter im öffentlichen Straßenraum eine Sondernutzungserlaubnis erteilt oder ein öffentlich-rechtlicher Vertrag (ggf. auch in Kombination) abgeschlossen. Zwar besteht grundsätzlich kein Anspruch auf die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis, sondern nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, doch kann sich dieses Ermessen auf Null reduzieren, so dass de facto ein Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis besteht.
b) Freiwillige Selbstverpflichtung der Betreiber Der Auffassung des OVG Hamburg folgend, dass das Abstellen von E-Scootern eines Verleihsystems im öffentlichen Straßenraum eine erlaubnisfreie Sondernutzung darstellt, sind Betreiber in anderen Kommunen lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung eingegangen, die aus kommunaler Sicht keine Durchsetzungsmöglichkeiten bedeutet.
Um sich einerseits auf die Entwicklung der neuen Mobilitätsformen und das Interesse der Anbieter vorzubereiten und andererseits die o.g. öffentlichen Interessen zu gewährleisten, hat der Bereich 35 – Mobilität - einen dieser Vorlage beigefügten Vertragsentwurf entwickelt, der aufbauend auf dem o.g. Urteil des OVG Münster eine Rahmensetzung für Verleihsysteme vornimmt. Mit dem Vertragsentwurf will die Verwaltung ein Instrument vorhalten, das für den Fall zur Anwendung kommen soll, dass Anbieter von E-Scooter-Verleihsystemen nach wie vor Interesse an einem Markteintritt in Lüneburg zeigen. Aus Sicht der Verwaltung sollte es vor dem Hintergrund der beschriebenen Probleme mit E-Scootern bzw. entsprechenden Verleihsystemen nicht Ziel sein, einen solchen Markteintritt zu forcieren. Anderseits ist angesichts der Rechtslage und der unterschiedlichen Rechtsprechung auch nicht auszuschließen, dass ein solcher Markteintritt durch Anbieter rechtlich erstritten wird.
Aus diesem Grund erlaubt der Vertragsentwurf interessierten Anbietern nur zu von der Stadt vorgegebenen Bedingungen den Betrieb eines Verleihsystems in der Hansestadt aufzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verleihsystemanbieter angesichts der zunehmenden Kritik selbst ein hohes Interesse daran haben, dass ihr Geschäftsmodell als positives zusätzliches Mobilitätsangebot wahrgenommen wird. Die Vertragseckpunkte sind unter Beteiligung des Bereiches 32 – Ordnung – sowie der Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/Uelzen und des Landkreises Lüneburg entwickelt worden; der Vertragsentwurf wurde durch die Kanzlei BBG und Partner aus Bremen begleitet, welche sich intensiv und langjährig mit den rechtlichen Aspekten von free-floating Verleihsystemen auseinandersetzt. Zusätzlich zu dem Vertrag bilden selbstverständlich die eKFV und die StVO den übergeordneten Rechtsrahmen.
Wichtig wird zudem eine genaue Kommunikation der Regeln, welche für E-Scooter allgemein, aber auch im Speziellen in Lüneburg, gelten.
Wichtige in diesem Vertragswerk vereinbarte Regeln betreffen: - Aufstellorte und Aufstellverbote der E-Scooter, - Kontrolle bzw. Korrektur der (nicht) ordnungsgemäß aufgestellten Fahrzeuge, - maximales anbieterübergreifendes Gesamtkontingent von E-Scootern, - Verteilungsschlüssel für die Einbringung der E-Scooter in das Geschäftsgebiet, - Nachhaltigkeitskriterien zum Betrieb wie z. B. der Einsatz von Austausch-Akkus, - Regeln für die Erreichbarkeit der Support-Hotline, - Nutzungsgebühr für den öffentlichen Raum, - Regelmäßige Kooperationsgespräche zum Betrieb und möglichen System-Anpassungen, - Zurverfügungstellung von Datenmaterial des Betriebs, welche in die städtische Verkehrsplanung einfließen kann. Das geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Mittel für den Schutz des öffentlichen Raumes ist eine Beschränkung der Anzahl der im free-floating Betrieb ausgebrachten E-Scooter auf ein straßen- und stadtverträgliches Maß. Derzeit kann dies nach Einschätzung der Verwaltung nur mit einer maximalen Menge von anbieterübergreifenden 200 Elektrokleinstfahrzeugen geschehen. Der Vorschlag für dieses maximale Gesamtkontingent folgt einer Untersuchung, welche für 44 Städte in Europa das Verhältnis aus E-Scootern und Bevölkerung überprüft hat. Im Schnitt liegt dieses bei durchschnittlich 4,3 E-Scootern pro 1.000 Einwohner:innen mit einer Spanne von 0,7 – 11,7. Da sich die E-Scooter in der Vergangenheit vor allem als Transportmittel für Innenstädte etabliert haben, die Verwaltung die Lüneburger Innen- und Altstadt aufgrund der Vielzahl an Fußgängerzonen und des Kopfsteinpflasters aber für wenig geeignet für den Einsatz von E-Scootern hält, wird eine Menge von 200 E-Scootern bzw. ein unterdurchschnittliches Verhältnis von 2,7 empfohlen. Diese Anzahl kann im Laufe der Nutzung entsprechend der gesammelten Erfahrungen angepasst werden.
Zusätzlich enthält der Vertrag eine Definition von Aufstellverbotszonen wie z.B. den engeren Innenstadtbereich, Parks und Friedhöfe. Innerhalb dieser Zonen werden Aufstellbereiche definiert, in denen das Aufstellen der Scooter zulässig ist und konzentriert werden soll, um das „wilde Abstellen“ zu reduzieren.
In seiner Sitzung am 25.04.2022 hat sich der Arbeitskreis Verkehr mit der Thematik befasst. Dabei hat sich mehrheitlich eine deutlich kritische Haltung gegenüber dem Verleihangebot von E-Scootern gezeigt. Bedenken wurden insbesondere unter Verkehrssicherheitsaspekten und wegen der Flächenkonkurrenz zu Fahrradabstellanlagen vorgetragen.
Der Abschluss eines konkreten Vertrages fällt im Übrigen in die Zuständigkeit des Verwaltungsausschusses.
Folgenabschätzung:
A) Auswirkungen auf die Ziele der nachhaltigen Entwicklung Lüneburgs
B) Klimaauswirkungen
a) CO2-Emissionen (Mehrfachnennungen sind möglich)
X Neutral (0): durch die zu beschließende Maßnahme entstehen keine CO2-Emissionen □ Positiv (+): CO2-Einsparung (sofern zu ermitteln): ________ t/Jahr
und/oder □ Negativ (-): CO2-Emissionen (sofern zu ermitteln): ________ t/Jahr
b) Vorausgegangene Beschlussvorlagen
□ Die Klimaauswirkungen des zugrundeliegenden Vorhabens wurden bereits in der Beschlussvorlage VO/__________ geprüft.
c) Richtlinie der Hansestadt Lüneburg zur nachhaltigen Beschaffung (Beschaffungsrichtlinie)
□ Die Vorgaben wurden eingehalten. □ Die Vorgaben wurden berücksichtigt, sind aber nur bedingt anwendbar. oder X Die Beschaffungsrichtlinie ist für das Vorhaben irrelevant.
Finanzielle Auswirkungen:
Kosten (in €) a) für die Erarbeitung der Vorlage: 117 € b) für die Umsetzung der Maßnahmen: c) an Folgekosten: d) Haushaltsrechtlich gesichert: Ja
e) mögliche Einnahmen: bis zu 12.000 €
Anlagen: Vertrag zum Betrieb des Verleihs von Elektrokleinstfahrzeugen
Beschlussvorschlag: 1. Der Betrieb eines Verleihsystem für E-Scooter im Sinne der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung wird für das Stadtgebiet Lüneburgs grundsätzlich kritisch gesehen.
2. Für den Fall, dass Anbieter von E-Scooter-Verleihsystemen nach wie vor Interesse an einem Markteintritt in Lüneburg zeigen, soll der dieser Vorlage beigefügte Vertragsentwurf Grundlage für die Vertragsverhandlungen sein.
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||