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Auszug - QR-Codes an Straßenschildern in der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Straße und der Hindenburgstraße  

 
 
Sitzung des Kultur- und Partnerschaftsausschusses
TOP: Ö 9
Gremium: Ausschuss für Kultur und Partnerschaften Beschlussart: ungeändert beschlossen
Datum: Di, 14.04.2015    
Zeit: 16:00 - 18:30 Anlass: Sitzung
Raum: Musikschule Lüneburg
Ort: Sankt-Ursula-Weg 7, 21335 Lüneburg
VO/6117/15 QR-Codes an Straßenschildern in der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Straße und der Hindenburgstraße
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage
Federführend:Bereich 41 - Kultur Bearbeiter/-in: Plett, Anke
 
Wortprotokoll
Beschluss

 

Beratungsinhalt:

 

Ratsherr VON MANSBERG meint, dies sei ein Thema, mit dem man sich noch länger beschäftigen werde, weil es dar keine einfache Lösung gebe. Die Biografien und Lebensleistungen beider Persönlichkeiten seien komplex, bruchhaft, zutiefst fragwürdig und schwer zu beurteilen. Mit den heutigen Kenntnissen würde sicherlich keine neue Straße nach Hindenburg oder Kopf benannt. Man dürfe sich aber nicht von den unterschiedlichen Fronten zu einer vereinfachten Lösung, sei es schlichtes Nicht-Handeln oder Umbenennen treiben lassen. Es gehe hier keineswegs um eine Geldfrage, wenn die Umbenennung abgelehnt werde, sondern es müsse darum gehen, die wechselhaften Biografien Hindenburgs und Kopfs differenziert zu würdigen. Selbst die Autorin der Biografie Kopfs, deren Buch die Diskussion ausgelöst habe, habe deutlich von einer Umbenennung der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Straßen in Niedersachsen abgeraten, sondern für eine kritische Auseinandersetzung mit der Person und ihrer Geschichte plädiert. Ein Straßenname könne ein Anstoß sein, sich aktiv mit Geschichte auseinanderzusetzen. Die von der Verwaltung vorgeschlagenen QR-Codes seien eine Möglichkeit, sich direkt vor Ort zu informieren.

 

Ratsherr BAUER-OHLBERG ist der Meinung, nachdem die Landeshauptstadt Hannover rzlich ihren Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz vor dem Landtag umbenannt habe, könne Lüneburg nicht an diesem Straßennamen festhalten, ohne sich lächerlich zu machen. Es sei besonders unangemessen und peinlich, dass die Straße in unmittelbarer Nachbarschaft zu Straßen liege, die nach NS-Widerstandskämpfern benannt seien, die von der NS-Diktatur ermordet wurden. Zur Hindenburgstraße merkt er an, dass in den heutigen unfriedlichen Zeiten Personen mit militaristischer Politikauffassung keine Vorbildfunktion mehr einnehmen sollten, indem sie mit Straßennamen gewürdigt werden. Hindenburg habe zudem keinen direkten Bezug zu Lüneburg, die Straßenbenennung nach ihm sei in der NS-Zeit reichsweit vorgegeben worden und die neuerliche Benennung 1952 sei wohl als Kontrapunkt der konservativen Kreise gegen die britische Besatzung anzusehen. Auch von diesem Straßennamen sollte man sich daher trennen. Die Verwendung von QR-Codes halte er für zu selektiv, zumindest müssten im Falle der Beibehaltung der Namen vor Ort auch für jeden lesbare Zusatzschilder angebracht werden. Besser wäre es aber, neue Straßennamen zu finden und dann mit QR-Codes und Schildern über die Geschichte der Umbenennung zu informieren. Er stelle daher einen weitergehenden Antrag, dass auf die QR-Codes verzichtet werden solle und neue Straßennamen für beide Straßen gesucht werden sollen.

 

Ratsfrau RUDOLPH erwidert; Geschichte könne man nicht bewältigen, indem man Denkmale, Straßennamen und Bücher beseitige. Hinrich-Wilhelm Kopf sei sicherlich ein Mann mit zwei Gesichtern gewesen, der sich einerseits in der NS-Zeit an jüdischem Eigentum bereichert hat, sich aber andererseits nach dem Krieg als erster Sozialdemokrat in den Dienst der parlamentarischen Demokratie gestellt und in dieser Funktion viele Verdienste erworben hat. Straßenbenennungen würden nach politischen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen vorgenommen. Die Person nach der benannt werde, müsse in dem Kontext ihrer zeitgeschichtlichen Wertvorstellungen beurteilt werden. Nur so sei Aufarbeitung von Geschichte möglich und aus ihr zu lernen. Straßennamen könnten nicht nur der Glorifizierung, sondern auch der Erinnerung dienen.

 

Ratsherr KIESEL findet, die Aufklärung über die geschichtlichen Hintergründe könne gern auch über QR-Codes an den Straßenschildern erfolgen, vor allem gehöre sie jedoch in die Gedenkstätten und Geschichtsbücher. Eine Straßenbenennung nach einer Person werde allgemein als Ehre und Anerkennung ihrer Lebensleistung vergeben und verstanden und das könne für diese beiden Menschen nicht mehr gelten. Er selbst würde nicht in einer Straße leben wollen, die nach diesen Personen benannt sei. Er halte es für möglich, die Kosten für die Umbenennung der Straßen durch Spenden oder Sponsoring aufzubringen. Es spreche nichts dagegen, dem Vorschlag der Verwaltung heute zuzustimmen, das befreie die Gesellschaft aber nicht von der historischen Aufgabe, an richtiger Stelle für Aufklärung und Erinnerung zu sorgen und Straßenbenennungen nach Personen mit nationalsozialistischem Hintergrund aus dem Stadtbild zu entfernen.

 

Ratsherr PAULY geht kurz auf den antidemokratischen Hintergrund Hindenburgs ein, der den Nationalsozialisten zur Macht verholfen habe und von diesen propagandistisch ausgenutzt und mit der Straßenbenennung geehrt wurde. Die Fraktion Die Linke habe daher schon zwei Mal den Antrag gestellt, die Hindenburgstraße umzubenennen, denn eine Straßenbenennung werde auch seiner Meinung nach immer als Würdigung der betreffenden Person betrachtet und zu 99% befassten sich die Menschen nicht mit den weiteren Hintergründen der Straßennamen und Personen. Die wenigsten Menschen würden sich anhand der QR-Codes weitergehend informieren und die wenigen, die das Angebot nutzen würden, seien in der Regel schon vorher sensibilisiert und über das Thema informiert. Die häufigste Erhnung der Straßennamen finde jedoch nicht auf den Straßenschildern, sondern völlig unkommentiert auf Briefbögen, als Adressanschriften und auf Straßenkarten statt und bedeute hier immer eine stillschweigende Würdigung der Personen. Das Beharren der Stadt auf den Benennungen, nachdem das Thema umfassend untersucht und diskutiert wurde und einige Städte ihre Straßen bereits umbenannt haben, komme in seinen Augen einer nochmaligen aktiven Würdigung der Personen gleich. Seine Fraktion stimme daher dem Änderungsantrag zu, beide Straßen umzubenennen.

 

Oberbürgermeister MÄDGE entgegnet, es sei unrealistisch zu glauben, dass es Biografien völlig ohne Brüche gebe, insbesondere in bewegten Zeiten und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umbrüche zwischen den beiden Weltkriegen. Auch die Biografien einiger der NS-Widerstandskämpfer, nach denen Straßen in Kaltenmoor benannt seien, wiesen diese Brüche auf. Diese Brüche gehörten zum Mensch-Sein dazu und wer meine, er könne dies ausradieren, wische auch die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit der Geschichte weg. Hinrich-Wilhelm Kopf habe Fehler begangen und sich nicht dazu bekannt, er habe aber nach dem Krieg auch viele Verdienste erworben, für die ihm noch immer Ehrung gebühre. Er sehe diese beiden Straßennamen nicht als Verherrlichung, sondern als Mahnmale, die uns täglich an die möglichen Brüche in unseren Lebenswegen erinnern können. Die Umbenennung der Carl-Peters-Straße, der Landrat-Albrecht-Straße und weiterer Straßen seien insofern anders und gerechtfertigt gewesen, da es sich um Personen gehandelt habe, die direkt zu der Ermordung von Menschen beigetragen haben. An solche Personen solle auch nicht mit Straßennamen erinnert werden. Die jetzt vorgeschlagene Lösung sei nicht das Ende der Diskussion, sondern sie müsse weiter geführt werden, aber nicht mit dem „Radiergummi“. Die jüngeren Generationen seien im Übrigen vertraut mit der Nutzung von QR-Codes und nutzten diese Medien ganz selbstverständlich. Er verwahre sich im Übrigen gegen den Vorwurf, die Stadt wolle die Straßen lediglich wegen der hohen Kosten nicht umbenennen. Sollte der Rat sich für eine Umbenennung entscheiden, würde er vorschlagen, dies ohne Entschädigung der Anwohner durchzuführen.

 

Ratsherr VON MANSBERG wirft ein, niemand, der sich mit dem Thema befasse, mache sich die Sache leicht. Es sei ein Irrtum zu glauben, es gebe hier die eine richtige Lösung und alle anderen, die anderer Meinung seien, würden nicht nachdenken. Auch Wissenschaftler, die über das Thema umfassend geforscht und diskutiert hätten, seien unterschiedlicher Ansicht. Wichtig sei, den Diskurs und die Auseinandersetzung mit der Geschichte wach zu halten.

 

Ratsherr PAULY bleibt bei seiner Ansicht, dass QR-Codes nur sehr wenige Menschen erreichen und somit nicht den gewünschten Effekt hätten. Ihm sei auch bewusst, dass eine Straßenumbenennung für die Anwohner, die sich mit der Thematik nicht auseinandersetzten, eine Zumutung sei. Die Zeit des Nationalsozialismus müsse seiner Meinung nach als singures Ereignis in der deutschen Geschichte betrachtet werden, das nicht mit anderen Geschehnissen vergleichbar sei und insofern müssten auch die Zusammenhänge, Umstände und Akteure anders und kritischer bewertet werden. Gerade die Umbenennung würde bei den Anwohnern den gewünschten Effekt haben, sich mit den Hintergründen auseinanderzusetzen, warum sie für notwendig erachtet wurde und dies wiederum auch anderen Menschen zu erzählen, die nach dem Grund der Adressänderung fragen werden. Dies würde einen intensiveren Diskurs eröffnen, als die geplanten QR-Codes. Den Vorschlag, im Falle der Umbenennung keine Entschädigung zu zahlen, halte er für kontraproduktiv, weil es zu einer zusätzlichen Verärgerung der Anwohner führen würde.

 

Ratsherr NEUBAUER lt es für unrealistisch, dass die Umbenennung der beiden Straßen die dortigen Anwohner zu einem geschichtlichen Diskurs anregen wird. Er erinnere sich, dass über die Straßennamen in Lüneburg seit Jahrzehnten diskutiert werde, insbesondere auch in den Schulen. Insofern seien solche „Reizpunkte“ auch sinnvoll, um die Auseinandersetzung über dieses Thema wachzuhalten. In der Bundesrepublik gebe es an die 400 Hindenburgstraßen, von denen in den vergangenen 15 Jahren lediglich 3 umbenannt worden seien. Alle anderen Kommunen hätten sich die Diskussion darüber sicher auch nicht leicht gemacht und seien keineswegs lächerlich, weil sie sich gegen eine Umbenennung entschieden hätten. Er habe auch keine Lösung parat, sei aber sicher, dass das Abnehmen der Straßenschilder nicht den intensiven Diskurs mit unserer Vergangenheit voranbringen würde, der in der Stadt glücklicherweise bereits in vielen Bereichen stattfinde.

 

Ratsherr BAUER-OHLBERGlt an seinem Änderungsantrag fest. Die Auseinandersetzung mit diesem negativen Teil der Geschichte sollte über das Erinnern an die Opfer geschehen und nicht über eine Straßenbenennung, die von der Allgemeinheit als Ehrung der Person wahrgenommen wird.

 

Ratsfrau NEUHAUS findet es wichtig, zu den Brüchen im eigenen Leben auch ehrlich zu stehen. Das sehe sie bei Hinrich-Wilhelm Kopf nicht, denn er habe seine Vergangenheit öffentlich verleugnet. Somit könne er keine Vorbildfunktion übernehmen. Sie habe im Übrigen ebenfalls Zweifel, dass die QR-Codes tatsächlich von vielen genutzt werden. Die Aufklärung und Diskussion über die Personen und ihre Taten müsse in den Schulen stattfinden, nicht vor den Straßenschildern.

 


Beschluss:

 

Der Kultur- und Partnerschaftsausschuss stimmt zunächst über den Änderungsantrag von Ratsherrn Bauer-Ohlberg ab, dem Rat der Hansestadt Lüneburg zu empfehlen,r die Hinrich-Wilhelm-Kopf-Straße und die Hindenburgstraße neue Straßennamen zu finden und im nächsten Jahr dafür die notwendigen Haushaltsmittel bereitzustellen.

 

Der Änderungsantrag wird mehrheitlich mit 5 Stimmen der SPD-Fraktion und der CDU-Fraktion gegen 3 Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke, bei Stimmenthaltung eines Mitglieds der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

 

Anschließend stimmt der Kultur- und Partnerschaftsausschuss mehrheitlich mit 5 Stimmen der SPD-Fraktion und der CDU-Fraktion gegen 3 Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke, bei Stimmenthaltung eines Mitglieds der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Vorschlag der Verwaltung zu und beauftragt den Fachbereich Kultur, eine entsprechende Umsetzung in Zusammenarbeit mit der Pressestelle vorzunehmen.

 

Oberbürgermeister MÄDGE sagt zu, dass auch die Möglichkeit geprüft wird, erläuternde Zusatzschilder mit anzubringen.

 

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