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Sachverhalt: sh. Antrag der SPD-Fraktion vom 07.05.2024, eingegangen 13.05.2024 zum Thema „Vonovia-Wohnungen in Lüneburger Hände“
Die Verwaltung nimmt zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Vonovia SE ist ein führendes deutsches Immobilienunternehmen mit Hauptsitz in Bochum. Es ist auf die Bewirtschaftung und Entwicklung von Wohnimmobilien spezialisiert und besitzt einen großen Bestand an Wohnungen, hauptsächlich in Deutschland, aber auch in Österreich und Schweden. Vonovia SE entstand 2015 durch die Umbenennung der Deutschen Annington und ist seitdem durch weitere Gesellschaftsübernamen stetig gewachsen.
Die Vonovia SE verfolgt nach entsprechenden Presseberichten und Aussagen gegenüber der Stadtverwaltung – zuletzt in einem Gespräch Ende Mai 2024 – das Ziel, ihren Lüneburger Wohnungsbestand als Komplettpaket zu veräußern. Insgesamt verfügt die Vonovia SE innerhalb des Stadtgebiets über 977 Wohnungen. Hiervon befinden sich 702 Wohneinheiten im Stadtteil Kaltenmoor. Weitere 203 Wohneinheiten sind in Neu-Hagen und am Schützenplatz sowie 72 Wohneinheiten in der Weststadt.
Die Siedlungsstruktur mit Hochhäusern, Parkpaletten und breiten Straßen ist ein charakteristisches Merkmal des Stadtteils Kaltenmoor und galt damals zum Zeitpunkt der Errichtung als fortschrittlich. Ein Großteil sind Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Ein kleinerer Teil sind Eigentumswohnungen. Der Stadtteil weist eine hohe Einwohnerdichte auf und steht sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber.
Seit 1999 erhält die Hansestadt Lüneburg für den als Sanierungsgebiet ausgewiesenen Stadtteil Kaltenmoor Städtebaufördermittel. Allerdings sind diejenigen Städtebaufördermittel, die noch zur Verfügung stehen, bereits für den Umbau der Wilhelm-Leuschner-Straße und der Kurt-Huber-Straße, die Sanierung der Wohnwege in der Wilhelm-Leuschner-Straße sowie für Zuschüsse für verschiedene Modernisierungsverträge verplant. Weitere Städtebaufördermittel stellt die NBank nicht in Aussicht. Die Veräußerung eines im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks bedarf nach den sanierungsrechtlichen Vorschriften des Baugesetzbuches (§§ 144 f. BauGB) zwar einer Genehmigung durch die Gemeinde. Damit möchte der Gesetzgeber die Umsetzung der Sanierungsziele für den betreffenden Stadtteil sicherstellen. Versagt werden darf die Genehmigung nach diesen Vorschriften deshalb allerdings nur dann, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Veräußerung die Durchführung der Sanierung unmöglich macht oder jedenfalls wesentlich erschwert. Sofern die Genehmigung versagt wird, kann der Eigentümer nach § 145 Abs. 5 BauGB von der Gemeinde die Übernahme des Grundstücks verlangen, wenn ihm im Hinblick auf die Sanierung wirtschaftlich nicht mehr zuzumuten ist, das Grundstück zu behalten oder in einer zulässigen Weise zu nutzen. Kommt keine Einigung über die Übernahme zustande, kann der Eigentümer die Entziehung des Eigentums an dem Grundstück verlangen. Die Gemeinde müsste den Eigentümer dann wie bei einer Enteignung entschädigen. Der Wohnungsbestand in Kaltenmoor hat für die Stadtgesellschaft einen hohen Stellenwert. Die Stadtverwaltung ist sich dieser Verpflichtung gegenüber dem Stadtteil bewusst und befindet sich bereits seit Februar 2023 mit der Vonovia SE zur Thematik der Veräußerung in konstruktiven Gesprächen. Zuletzt haben sich die Vonovia SE und die Stadtverwaltung Anfang und Ende Mai 2024 hierzu ausgetauscht. Ein Folgegespräch ist bereits für Ende Juni 2024 terminiert, dieser wird auf Fachebene durch beide Häuser vorbereitet.
In dem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Sachverhaltsaufklärung der erhöhten Nebenkostenabrechnungen in den Wohneinheiten der Vonovia SE (insbesondere Fernwärme) und der hierzu mit der Geschäftsführung geführte Schriftverkehr im Zeitraum von Anfang Dezember bis ins erste Quartal 2024 überlagert und den Austausch mit dem Unternehmen belastet hat. In dem genannten Zeitraum Stand die Thematik des Erwerbs nicht im unmittelbaren Focus.
Wirtschaftliche Betrachtung der Veräußerung von 977 Wohneinheiten im gesamten Stadtgebiet
Die Vonovia SE ist eine europäische Gesellschaft (Societas Europaea) und wird als Aktiengesellschaft geführt, die es ihr ermöglicht, ihre Geschäftstätigkeit in verschiedenen europäischen Ländern mit einem einheitlichen Regelwerk zu betreiben. Die Rechnungslegung sowie die Vermögensermittlung der Gesellschaft erfolgen nach IFRS. Nach diesem internationalen Standard verfügen die 977 Wohnungen im gesamten Stadtgebiet über ein von der Vonovia SE mitgeteilten finanziellen Wert, der als substanziell herausfordernd eingeschätzt wird. Die Wohneinheiten weisen insgesamt eine Fläche von rd. 64.350 m² aus.
Die durchschnittlichen Mieten betragen lt. Vonovia SE in den betroffenen Wohneinheiten wie folgt: Kaltenmoor 702 Wohneinheiten 7,12 € je m² Neu-Hagen / Schützenplatz 203 Wohneinheiten 8,96 € je m² Weststadt 72 Wohneinheiten 10,11 € je m²
In Lüneburg beträgt die durchschnittliche Kaltmiete laut des neuen Mietspiegels 8,95 €.
Eine Sanierung des Gebäudebestandes wurde bei den angegebenen Mieten bislang nicht berücksichtigt und würde sich bei der Ermittlung einer zukünftigen Kaltmiete je m² natürlich nachhaltig auswirken. Die erforderlichen Sanierungskosten sind nur schwer zu prognostizieren, da bislang keine detaillierte Besichtigung der Wohneinheiten stattfand bzw. entsprechend prüffähige transparente Unterlagen vorgelegt worden sind. Die Notwendigkeit einer umfangreichen Sanierung ist jedoch unstrittig. Wir gehen davon aus, dass sowohl eine Dach- und Fassadensanierung (Wärmedämmverbundsystem) für eine energetische Verbesserung als auch eine Modernisierung der technischen Anlagen sowie Küchen und Bäder erfolgen müssen und stützen uns dabei u.a. auch auf die Expertise der LüWoBau. Eine vollumfängliche Sanierung würde Kosten in einer Größenordnung von mind. 1.250-2.500 € je m² verursachen, welche durch die Hansestadt ebenfalls zu finanzieren sind.
Eine wirtschaftliche Darstellung eines Ankaufs und der Sanierung der aufgezeigten Wohnungsbestände kann nur erreicht werden, wenn die Mieterträge sowohl den Erwerb als auch die Sanierung berücksichtigen würden.
Gründung einer neuen Wohnungsbaugesellschaft oder Objektgesellschaft durch die Hansestadt Lüneburg
Bevor eine Wohnungsbaugesellschaft mit erheblicher kommunaler Beteiligung gegründet werden kann, sind sowohl rechtliche als auch finanzielle Voraussetzungen zu prüfen bzw. auch zu schaffen. Kommunen dürfen im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung sich zur Erledigung ihrer Angelegenheiten nach § 136 NKomVG ff. wirtschaftlich betätigen. Die Zulässigkeit, eine neue Wohnungsbaugesellschaft/ Objektgesellschaft zu gründen, unterliegt der Einschränkung der sogenannten Schrankentrias. Danach dürfen Kommunen öffentliche Unternehmen nur errichten, wenn und soweit der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt, das Unternehmen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Kommune steht und der Zweck nicht durch einen privaten Dritten erfüllt werden kann.
Die Errichtung und Bereitstellung von Wohnraum entsprechen grundsätzlich dem öffentlichen Zweck. Insbesondere jedoch das angemessene Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Hansestadt Lüneburg (Haushaltsvolumen rd. 400 Mio. €, Plandefizit 2024 rd. -49 Mio. €) ist kritisch zu hinterfragen. Auf die Haushaltsgenehmigung vom 07.05.2024 wird hierzu verwiesen.
Die Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft/ Objektgesellschaft geht mit hohen liquiden Zahlungsströmen sowie einem großen Risiko einher. Die Wohnungsbaugesellschaft benötigt erhebliche finanzielle Mittel und ein Eigenkapital von mindestens 15 Prozent. Auch wenn ein Großteil der benötigten Mittel über Kredite finanziert werden könnte, verlangen Kreditinstitute weitergehende Sicherheiten für die ausgegebenen Darlehen. Zusätzlich zum Eigenkapital müsste die Kommune entsprechend für die Darlehen Bürgschaften ausgeben. Diese benötigten finanziellen Mittel bilden jedoch nur die Gründung des Unternehmens ab. Der tatsächliche Betrieb mit dem bspw. notwendigen Personal wurde bisher nicht abschließend beleuchtet. Grundsätzlich hat sich der Betrieb, wie auch die Gesamtinvestition durch die Mieten zu tragen. Etwaige Übergangslösungen für eine zukünftige Verwaltung des Wohnungsbestandes sind u.a. gegenwärtig Gegenstand der Gespräche mit der Vonovia SE, ersetzen aber mittel- und langfristig nicht den Aufbau eigener Strukturen.
Nach § 149 NKomVG soll ein kommunales Unternehmen grundsätzlich die eigenen Kosten selbst decken und wenn möglich einen Ertrag für den kommunalen Haushalt erwirtschaften. Nach gegenwärtiger Einschätzung müsste die Hansestadt Lüneburg an die neue Wohnungsbaugesellschaft/ Objektgesellschaft ohne eine adäquate Mieterhöhung einen jährlichen Zuschuss leisten. Die notwendige Sanierung würde den jährlichen Zuschussbedarf der Wohnungsbaugesellschaft/ Objektgesellschaft voraussichtlich erhöhen.
Nach den aktuellen Erkenntnissen wäre bei der Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft/Objektgesellschaft die Leistungsfähigkeit der Hansestadt Lüneburg zu bewerten und hierzu Einvernehmen mit der Kommunalaufsicht zu erzielen. Die Kommunalaufsicht steht der Gründung einer womöglich defizitären Gesellschaft äußerst kritisch entgegen.
Die Zusammenarbeit mit einem öffentlichen oder privaten Investor könnte den finanziellen Zuschussbedarf sowie das Risiko auf mehrere natürliche / juristische Personen verteilen. Bei einer Einbindung privater Investoren/ggf. Anstalten des öfftl. Rechts, auch bei Anleihen Modellen, kann davon ausgegangen werden, dass entsprechende private Beteiligungen eine Rentabilität des Vorhabens bei objektives bzw. realistischer Betrachtung als Voraussetzung haben dürften. Nach bisherigen Gesprächen mit dem Land und der neu gegründeten Wohnbaugesellschaft Niedersachsens ist gegenwärtig festzuhalten, dass landesseitig kaum finanzielle Unterstützung zu erwarten ist bzw. die Landesgesellschaft sich nicht einbringt. Primär ist hierbei, dass es sich um nicht zusätzlichen Wohnraum, sondern um die Übernahme von Bestandsimmobilien handelt. Mit Schreiben vom 29.05.2024 hat der Niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies ausgeführt, dass sich die WohnRaum Niedersachsen GmbH vor dem Hintergrund des nahezu landesweit akuten und weiter ansteigenden Mangels an bezahlbaren Wohnraums in ihrer Startphase und mit dem derzeit begrenzten Startkapital des Landes ausschließlich auf Neubauvorhaben konzentrieren.
Ebenso lässt der bisherige Erfahrungsaustausch innerhalb des Niedersächsischen Spitzenverbandes keine weiteren Unterstützungen vermuten. Sämtliche betroffene Kommunen stehen den gleichen finanziellen Herausforderungen gegenüber und mussten nach aktuellen Erkenntnissen vom Erwerb von Wohneinheiten Abstand nehmen. Bislang hat keine vergleichbare niedersächsische Kommune in den letzten Jahren derart große Wohnungsbestände mit einem Investitionsvolumen in ähnlicher Größenordnung von der Vonovia SE erworben. In Hannover wurden zuletzt von der dortigen hanova WOHNEN GmbH in den Jahren 2019/2020 216 bzw. 250 Wohneinheiten von der Vonovia SE erworben. Das neben dem Kaufpreis aufgerufene Modernisierungsprogramm sah allerdings nur ein Volumen von 10-15 Mio. € in einem Zeitraum von 5 Jahren vor. Um sich jedoch über aktuelle Entwicklungen auszutauschen, wurde bereits durch die Stadtverwaltung die Schaffung einer Arbeitsgruppe beim NST angeregt. Der NST nimmt sich der Schaffung eines solchen Erfahrungsaustausches an. Minister Lies hat in seinem Schreiben vom 29.05.2024 die Bereitschaft des Wirtschaftsministeriums erklärt, sich an einem derartigen Arbeitskreis zu beteiligen
Der Deutsche Städtetag spricht sich grundsätzlich für eine Re-Kommunalisierung von Wohnraum aus, sagt: Kommunen sollten auf etwa 10 Prozent des Wohnungsmarktes Zugriff haben. Diesen Wert (9,77 %) erreicht in der Hansestadt die LüWoBau mit ihren ca. 2.400 Wohnungen.
(Zum Vergleich: Die Dresdner Wohnungsbaugesellschaft WiD hat 2023 1.213 Vonovia-Wohnungen erworben, verfügt jetzt ebenfalls über 2.400 Wohnungen. Möglich wurde dieser Ankauf, weil das Land Sachsen speziell für Dresden (Haushaltsvolumen rd. 2,2 Mrd. €) mit seinen rd. 560.000 Einwohner und Leipzig Förderprogramme zur Sanierung (!) von Wohnraum aufgelegt hat. Zudem sind die dortigen Bestände nicht akut sanierungsbedürftig, sondern erst in 5 bis 7 Jahren. In Bremen (Haushaltsvolumen rd. 5,6 Mrd. €) hat die kommunale Gewoba jüngst 224 Vonovia-Wohnungen gekauft, von der Hansestadt mit jeweils 15.000 Euro (gesamt 3,36 Mio. Euro) bezuschusst, gekoppelt an eine 20-jährige Miet- und Belegungsbindung.) In Berlin (Haushaltsvolumen rd. 40 Mrd.€) wurden in 2024 durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge rd. 4500 Wohneinheiten für rd. 700 Mio. € erworben. Die Howoge verfügt selbst über rd. 76000 Wohneinheiten und gehört zu den größten Wohnungsbaugesellschaften und Projektentwicklern Deutschlands).
Etwaige Förderprogramme könnten von der NBank in Betracht kommen. Die NBank unterstützt Kommunen bei der Sanierung und Modernisierung von sozialem Wohnraum. Solche Förderprogramme gehen grundsätzlich mit Verpflichtungen einher, hier bspw. eine festgeschriebene Höchstmiete für eine bestimmte Dauer. Eine Höchstmiete wird zwar durch die Stadtverwaltung als positiv aufgefasst, bindet jedoch die Stadt und deren optional zu gründende weitere Wohnungsbaugesellschaft/ Objektgesellschaft an eine kostenorientierte Mietkalkulation. Es kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht prognostiziert werden, ob eine solche Mietpreisbindung bereits die Kosten für den Erwerb für nicht umlagefähig darstellt (Verhältnis zw. Höchstmiete zur Miete inkl. Erwerbskosten). Die Sanierungskosten würden folglich unberücksichtigt bleiben. Es bedarf hierzu eine intensive Begutachtung der bisherigen Mieterstruktur. Die beschriebenen Förderprogramme sehen entweder die Sanierungen und Modernisierungen oder die Schaffung von neuem Wohnraum durch Neubauten vor. Der Erwerb von Bestandsgebäuden wird derzeit nicht durch Förderprogramme unterstützt.
Trotz der derzeit schwierigen Voraussetzungen für den Erwerb von 977 Wohneinheiten fokussiert sich die Stadtverwaltung intensiv darauf, eine Lösungsperspektive für die Hansestadt Lüneburg zu erzielen. Obwohl die Hürden hoch sind, prüft die Verwaltung seit Beginn der Verhandlungen alle möglichen Optionen.
Dieser Weg kann nur gemeinsam mit dem Stadtrat beschritten werden. Aus Sicht der Stadtverwaltung wäre zum jetzigen Zeitpunkt die Bereitstellung von außerplanmäßigen Mitteln in Höhe von 500.000 € für eine Expertenrunde zu verfrüht und würde eines Ausgleichs innerhalb des vom Rat beschlossenen Haushaltes bedürfen. Vorab sind weitere Gespräche mit der Vonovia SE zu führen und die Bedingungen für einen Ankauf zu konkretisieren, hierzu gehört insbesondere ein detailreicheres Bild vom Zustand des derzeitigen Wohnungsbestandes.
Abschließend ist festzuhalten, dass ein Erwerb und die Sanierung des Wohnungsbestandes unabhängig von einer abschließenden Fallkonstellation eine finanzielle Herausforderung für die Hansestadt bedeuten würde, die mehr als dauerhaft nachhaltige Auswirkungen auf die vollständige finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt haben würde und deren Tragweite für alle von Aufwendungen betroffenen Bereiche, z.B. freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben und die Qualität der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben, exponentiell wäre.
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