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Auszug - Namensgebung "Schlieffen-Park" (Antrag der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 17.01.06)  

 
 
Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Rates der Stadt Lüneburg
TOP: Ö 7.3
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: abgelehnt
Datum: Do, 02.03.2006    
Zeit: 17:00 - 20:10 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/1820/06 Namensgebung "Schlieffen-Park" (Antrag der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 17.01.06)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Antrag d. Fraktion Bündnis90/Die Grünen
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Bearbeiter/-in: Plett, Anke
 
Wortprotokoll
Beschluss

Beratungsinhalt:

 

Beratungsinhalt:

 

Ratsfrau LEECK erläutert den Antrag. In anderen Städten seien nach Schlieffen benannte Kasernen zum Teil schon vor Jahrzehnten umbenannt worden. Es sei historisch belegt und selbst vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt bestätigt, dass Schlieffen für die Kriegswirren in den ehemaligen Kolonien mit verantwortlich gewesen ist. Sein Name stehe für die Verselbstständigung militärischen Denkens im Kaiserreich und dafür, dass der „nationale“ Zweck jedes Mittel heilige. Wer heute ein Baugebiet nach Graf Schlieffen benenne, mache sich die Erwägungen derjenigen zu eigen, die der Kaserne 1938 ihren Namen gaben. Ratsfrau LEECK schildert kurz das Wirken und die Persönlichkeit Schlieffens. Im Verwaltungsausschuss am 26.10.04 sei beschlossen worden, den Bebauungsplan „Schlieffen-Park“ aufzustellen und eine frühzeitige Bürgerbeteiligung durchzuführen. In der Ratssitzung am 25.11.04 habe Stadtdirektor Koch die Kritikwürdigkeit des Namens „Schlieffen“ eingeräumt und einen öffentlichen Wettbewerb zur Namensfindung für das Baugebiet in der LZ angekündigt. Ratsherr Burgdorff habe sich in dieser Sitzung ebenfalls für eine Umbenennung des Baugebiets ausgesprochen und Beigeordneter Dörbaum habe dies eindeutig in der Sitzung des Ausschusses für Bauen und Stadtentwicklung am 23.03.04 getan. Die LZ sei bereit gewesen, den Ideenwettbewerb zu unterstützen, leider habe die Verwaltung das Vorhaben aber nicht weiter verfolgt. Auch eine Bürgerbeteiligung sei nicht durchgeführt worden, statt dessen habe der Kultur- und Partnerschaftsausschuss gestern bereits Straßennamen für das Gebiet beschlossen. Es sei nicht zu begreifen, warum die Verwaltung und die SPD-Fraktion sich jetzt nicht mehr an ihre früheren Aussagen und Standpunkte erinnern wollen. So mache die Gremienarbeit keinen Sinn. Es sei ihr auch unbegreiflich, warum die CDU-Fraktion die Benennung des Baugebiets nach einer Persönlichkeit unterstütze, die sich an Völkermord beteiligt und damit sicher nicht nach christlichen Leitlinien gehandelt habe.

 

Beigeordneter DR. SCHARF entgegnet, es handele sich bei der Kolonialpolitik und der Kriegsschuldthese nach dem Ersten Weltkrieg um zwei Themen in der deutschen Geschichte, die sehr kontrovers diskutiert würden. Geschichte sei nicht so einfach zu interpretieren, wie hier von Frau Leeck der Eindruck erweckt werden solle und müsse auch aus dem damaligen Kontext heraus verstanden werden. Die deutsche Kolonialpolitik in Afrika sei sicherlich sehr zwiespältig zu betrachten. Als positiv könne vielleicht die Infrastruktur gewertet werden, die damals dort aufgebaut worden sei und zum Teil noch heute genutzt werde. Der Herero-Aufstand sei aber sicher kein Ruhmesblatt in der deutschen Geschichte. Der Gerechtigkeit halber müsse jedoch auch gesagt werden, dass auf beiden Seiten mit enormer Brutalität vorgegangen worden sei. General von Schlieffen habe bei diesen Vorgängen allerdings keine große Rolle gespielt. Es sei unbestritten, dass im 19. Jahrhundert alle großen Staaten Imperialismus betrieben hätten. Die Motive seien heute schwer nachvollziehbar, es wäre aber unhistorisch, die historischen Gegebenheiten nicht zu berücksichtigen. Das betreffe auch General von Schlieffen, der auf Grund der Entwicklung eines Angriffsplans, wie ihn Frankreich, England und Russland auch entwickelt hätten, nicht für den Stellungskrieg vor Verdun verantwortlich gemacht werden könne. Es habe zu der Zeit ein Zweifrontenkrieg gedroht, auf den man sich entsprechend militärisch vorbereitet habe. Ihn als Massenmörder darzustellen, sei schlicht unhistorisch. Schlieffen gehöre ebenso zur deutschen Geschichte wie Lenin und Karl Marx, nach denen in den neuen Bundesländern noch viele Straßen benannt seien. Er halte es für unredlich, alle diese Namen, die mit der deutschen Geschichte verbunden seien, ausradieren zu wollen. Der Name „Schlieffen-Park“ sollte daher als Arbeitstitel für den Bebauungsplan beibehalten werden. Die späteren Bewohner des Gebiets könnten dann selbst entscheiden, wie sie mit der Benennung ihres Stadtteils weiter umgehen wollen.

 

Ratsfrau LOTZE bezeichnet den Vorwurf der Grünen als absurd, die SPD-Fraktion würde die Geschichte nicht kennen, ignorieren, oder sich zum Fürsprecher des General von Schlieffen machen. Sie meine nicht, dass die Benennung der Kaserne oder des Bebauungsplans nach Schlieffen dem positiven Image der Stadt Lüneburg jemals geschadet habe und Touristen aus diesem Grund die Stadt meiden würden. Fraglich sei, warum die Grünen die Umbenennung der Schlieffen-Kaserne in den vergangenen Jahrzehnten nicht schon längst im Rat oder auf Bundesebene angestoßen haben. Es dränge sich der Eindruck auf, dass das späte Engagement eher mit der in Kürze anstehenden Kommunalwahl zu tun hat. Auch für die SPD-Fraktion sei der Name Schlieffen nicht unumstritten und sie betrachte ihn als ungeeignet für ein ziviles Wohnquartier. Unabhängig von der ungeklärten Frage der Verantwortung Schlieffens gelte für ihre Fraktion, dass jeder, der in irgendeiner Form an Vernichtungsstrategien oder an Verfolgung und Unterdrückung von Menschen mitgewirkt hat, heute zur Namensgebung für Straßen und Plätze nicht mehr herangezogen werden darf. Jede Zeit habe ihre Helden und bewerte die Beurteilungskriterien dafür jeweils neu. Deshalb stelle sich die Frage, wo man mit den Umbenennungen von Straßen oder dem Abriss von Denkmalen anfangen und wo enden solle, und ob man als Ausdruck von Geschichtsbewusstsein verschiedener Zeiten bestimmte Namen auch akzeptieren könne. Im Kultur- und Partnerschaftsausschuss sei beschlossen worden, dass die Lüneburger Straßen vom Stadtarchiv auf heikle Benennungen überprüft werden sollen, um dann eine gemeinsame Basis zu finden, auf der über die Notwendigkeit von Umbenennungen entschieden werden könne. Auf dem Gelände der ehemaligen Schlieffen-Kaserne werde eins der attraktivsten Wohngebiete Lüneburgs entstehen, dessen Straßen laut gestrigem Beschluss des Kultur- und Partnerschaftsausschusses nach verdienten Lüneburger Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern benannt werden. Der Name Schlieffen-Park werde mit Abschluss des Bebauungsplans verschwinden. Es sei sinnlos, weitere Zeit und Energie in diese Debatte zu investieren.

 

Bürgermeisterin SCHELLMANN macht deutlich, dass Bebauungspläne immer eine Bezeichnung erhalten, die eindeutig auf ihre örtliche Lage hinweisen, so dass sie leicht und unmissverständlich zu lokalisieren sind. Die Schlieffen-Kaserne existiere noch. Wenn man dem Baugebiet, wie von den Grünen vorgeschlagen, den Arbeitstitel Kaserne Bleckeder Landstraße gäbe, wäre das missverständlich, weil dort zwei Kasernen sind. Die Schlieffen-Kaserne werde es auch weiterhin geben. Die Grünen hätten zu Zeiten der rot-grünen Regierung auf Bundesebene längst auf eine Umbenennung der Kaserne hinwirken können. Die Verfehlungen der deutschen Kolonialpolitik seien sicher nicht von der Hand zu weisen und es sei richtig, sich damit auseinander zu setzen. Das Thema sei aber so vielschichtig, dass man es nicht aus einem zu einseitigen Blickwinkel betrachten dürfe. Der Arbeitstitel des Bebauungsplans richte sich aber nach den lokalen Gegebenheiten und beinhalte keine Wertung oder Ehrung einer Person. Er werde mit der Vermarktung der dortigen Immobilien und den Straßenbenennungen verschwinden. Es sei schon vor Jahren beschlossen worden, die Straßen in diesem Baugebiet nach verdienten Lüneburger Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern zu benennen, was auch durch die dort bereits bestehende Horst-Nickel-Straße deutlich werde, daher werde sich wahrscheinlich später der Name „Bürgermeisterviertel“ für das Gebiet durchsetzen.

 

Ratsherr MEIHSIES konstatiert, die Schlieffen-Kaserne sei von den Nationalsozialisten im Rahmen einer sogenannten Traditionsoffensive umbenannt worden und es sei unbegreiflich, dass die übrigen Ratsfraktionen und die Verwaltung dies offensichtlich weiterführen wollten. Schlieffen habe seine politischen Kritiker für ihre humanitären Ansichten öffentlich verhöhnt und gerade die Sozialdemokraten sollten wissen, was das bedeute. Mit dieser unsäglichen Traditionspflege, die die Armee auch nach dem Zweiten Weltkrieg weitergeführt habe, müsse jetzt gebrochen werden. Die Grünen hätten die Chance gesehen, diesen Weg nach Auflösung eines Teils der Kaserne zu gehen und einen neuen Namen für das Baugebiet zu finden. Die Verwaltung verstecke dieses Versäumnis jetzt hinter dem Begriff „Arbeitstitel“, obwohl sie seit 2004 immer wieder versichert habe, einen Wettbewerb zur Namensfindung machen zu wollen. Offensichtlich fehle der SPD-Fraktion eben doch das Geschichtsbewusstsein, obwohl die Sozialdemokraten im Nationalsozialismus verfolgt worden sind, sonst würde sie mit dieser Art der „Traditionspflege“ brechen. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen habe bereits seit 2004 auf die Notwendigkeit der Umbenennung des Baugebietes hingewiesen und sei offenbar mit falschen Versprechungen hingehalten worden. Diese Diskussion sei für die Sozialdemokratie unwürdig.

 

Oberbürgermeister MÄDGE weist die Vorwürfe gegen die Sozialdemokratie nachdrücklich zurück. Es seien sozialdemokratische Verteidigungsminister gewesen, die in Traditionsuntersuchungen die Namen von Kasernen untersuchen lassen hätten. Militärs bekämen ihre Aufträge im Übrigen von Zivilisten und es stelle sich die Frage, ob in einigen Jahrzehnten Gerhard Schröder und Joschka Fischer für den Bosnieneinsatz der Bundeswehr gebrandmarkt werden. Die „Spätgeborenen“ sollten die Moral jedoch nicht für sich allein in Anspruch nehmen. Die Verwaltung und der Rat der Stadt Lüneburg stelle sich der Geschichte und habe bereits beschlossen, dass keine Straße nach General Schlieffen benannt und auch keine Gedenktafel für ihn aufgehängt werde. Man könne aber die dunklen Punkte der deutschen Geschichte nicht vollständig aus der Erinnerung auslöschen, sondern müsse einen Weg finden, damit verantwortungsbewusst umzugehen. Insofern sei es gut, dass diese Diskussion angestoßen wurde. In Berlin seien zum Beispiel an einigen Häusern Tafeln aufgehängt worden, auf denen ihre Geschichte dargestellt werde. Ein Beispiel aus Lüneburg sei eine alte Gedenktafel für 10 Lüneburger, die im Herero-Aufstand gefallen sind, im Eingang der Michaeliskirche. Die Kirche habe diese Gedenktafel nicht unkommentiert gelassen, sondern darunter eine Tafel mit der Aufschrift: „Die Opfer der Kriege mahnen uns: Herr, mach uns zum Werkzeug Deines Friedens“ gehängt. Er fordere alle auf, sich mit unserer Geschichte zu beschäftigen und sich ihr zu stellen. Durch ihr Auslöschen könne man seiner Verantwortung gegenüber kommenden Generationen nicht gerecht werden. Die Stadt werde mit den neuen Anwohnern in diesem Gebiet darüber diskutieren, dass sie noch einige Zeit neben der Schlieffen-Kaserne wohnen müssten. Wer das nicht akzeptieren wolle, müsse im Bundestag einen Antrag auf Umbenennung der Kaserne stellen.

 

Beschluss:

Beschluss:

 

Der Rat der Stadt Lüneburg lehnt den Antrag mehrheitlich mit den Stimmen der Gruppe SPD/FDP und der CDU-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen ab.

 

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