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Auszug - Einrichtung einer Armenküche in Kaltenmoor (Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 11.09.2007, eingegangen am 13.09.2007)  

 
 
Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Rates der Stadt Lüneburg
TOP: Ö 6.3
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: ungeändert beschlossen
Datum: Do, 31.01.2008    
Zeit: 17:00 - 19:50 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/2551/07 Einrichtung eines Mittagstisches für Bedürftige (basierend auf einem Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 11.09.2007, eingegangen am 13.09.2007)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Antrag der Fraktion DIE LINKE
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Beteiligt:Fachbereich 5a - Soziales und Integration
Bearbeiter/-in: Duda, Thomas   
 
Wortprotokoll
Beschluss

Beratungsinhalt:

 

Beratungsinhalt:

 

Ratsherr RIECHEY führt aus, dass die Einrichtung einer Armenküche leider aufgrund der Politik der großen Koalition nötig geworden sei. Lüneburg habe, im Gegensatz zu vielen anderen Städten, keine Essenausgabe für Bedürftige. Er wundere sich über die Stellungnahme der Verwaltung, in der darauf verwiesen werde, dass es zweimal eine ähnliche Einrichtung gegeben habe, nämlich in den Jahren 1856 und 1919, in denen kein großer Bedarf festgestellt worden sei. Es könne doch wohl unterstellt werden, dass sich die Situation der Bedürftigkeit seither etwas gewandelt habe. Eine Armenküche werde zu Zeiten von Agenda 2010 und Hartz IV dringend benötigt. Dies betreffe insbesondere die Stadtteile Kaltenmoor und Neu-Hagen. Es gebe bisher nur eine Nahrungsmittelausgabestelle der Lüneburger Tafel, es werde jedoch nirgendwo ein warmes Essen angeboten, außer für einige Schulkinder, bei denen der Bedarf an einem warmen Essen allerdings auch am größten sei. Es sei gut, dass die Stadt hier einen ersten Schritt unternommen habe, dieser reiche allerdings nicht aus, das Problem müsse grundsätzlich angegangen werden. Die steigenden Lebensmittelpreise insbesondere für Milchprodukte und Fleisch und die nicht adäquat angepassten Regelsätze unterstrichen die Bedeutung einer Armenküche. Es sei perfide von der Verwaltung, es als schlicht systemwidrig zu bezeichnen, wenn ‚unzureichende staatliche Leistungen durch freiwillige Leistungen einer Kommune aufgestockt werden’. Dies solle man einmal den freien Trägern der Wohlfahrtsverbände erzählen, mit einer solchen Argumentation und mit solchen bürokratischen Ausflüchten auf die Zuständigkeit anderer zu verweisen, löse das Problem der Betroffenen in keiner Weise. Die Forderung sei auch keineswegs utopisch, man müsse sich nur einmal in der näheren Umgebung umschauen. In der Stadt Bleckede sei eine solche Armenküche eingerichtet worden, diese werde von über hundert Menschen in der Woche in Anspruch genommen. Da die Stadt Lüneburg siebenmal so viele Einwohner wie Bleckede habe sei nicht davon auszugehen, dass es hier weniger Bedürftige gebe. Zusammensetzung und soziales Milieu seien in Lüneburg sogar noch dramatischer als in einer kleinen Stadt wie Bleckede. Die Kriterien für die Empfangsberechtigung der Essenausgabe könne analog zu denen der Lüneburger Tafel gestaltet werden. Als Preis für ein Essen schlage man maximal 1,57 Euro vor, dies entspreche dem Anteil, der einem Hartz IV-Empfänger aus dem Regelsatz für ein warmes Mittagessen zur Verfügung stehe. Es sei skandalös, dass angesichts ständiger Teuerungen die kleinen Verbesserungsvorschläge für die Menschen, die in der Gesellschaft am allerwenigsten haben, immer wieder reflexartig abgelehnt würden. Hier müsse man zu einer anderen Diskussionskultur übergehen, daher bitte er darum, den Antrag in den Sozial- und Gesundheitsausschuss zu überweisen, um dort gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden zu beraten, wie man eine solche Armenküche organisieren und finanzieren und wo sie entstehen könnte.

 

Ratsherr POLS verweist auf einen Artikel im Hamburger Abendblatt mit der Frage über die Notwendigkeit einer Armenküche. Die CDU verneine diese Frage. Eine Armenküche sei eine Einrichtung aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise, in der die Menschen wirklich hätten hungern müssen. Im Lüneburg des 21. Jahrhunderts aber habe man keine Hungersnot. Da helfe auch das Szenario der Haushaltsberatungen nicht, dass von den Tellern der Lokale in der Schröderstraße das Essen geklaut werde. Das sei ein Populismus der gerade stattgefundenen Landtagswahl. Aus Sicht seiner Fraktion seien die Regelsätze von ALG II und Hartz IV auskömmlich, um das Primärbedürfnis nach Nahrung zu befriedigen. Natürlich müssten die Regelsätze von Zeit zu Zeit angepasst werden. Sollten Lüneburger Bürger trotzdem auf die Angebote der Lüneburger Tafel zurückgreifen müssen, so sei es zumutbar, diese Speisen selbst zuzubereiten. Man müsse auch bedenken, dass soziale Einrichtungen wie Armenküchen ihr Klientel selbst erst entstehen ließen. Menschen, die selbst nicht kochen wollen, machten es sich einfach und würden dieses Angebot nutzen. Hier sei bei der betroffenen Bevölkerung eine gewisse Eigeninitiative zu fordern. In den angesprochenen Stadtteilen Kaltenmoor und Neu-Hagen gebe es einige soziale Einrichtungen, die sich dieses Problems bereits annähmen, in der Stellungnahme der Verwaltung sei dies nachzulesen. Es müsse nicht extra hervorgehoben werden, dass hier bereits hervorragende Arbeit geleistet werde, er erinnere nur an die Kindertafel in der Paul-Gerhardt-Gemeinde. Es sei allgemein bekannt, dass Kaltenmoor und Neu-Hagen Probleme haben, daraus jedoch eine Art Verelendung abzuleiten, sei fahrlässig und diesen Stadtteilen nicht dienlich.

 

Ratsfrau GÜNTNER bestätigt die Schwierigkeit mancher Menschen, sich regelmäßig gesund und vollwertig zu ernähren, der Antrag suggeriere jedoch, dass Lüneburg das Armenviertel Deutschlands sei. Die Verwaltung habe in ihrer Stellungnahme dargelegt, dass es bereits heute ein umfangreiches Angebot für preisgünstiges Essen insbesondere für Kinder und Jugendliche in der Stadt gebe. Dies gelte auch für sechs Grundschulen – für die der Rat zudem beschlossen habe, das Mittagessen mit einem Euro zu bezuschussen – und für die Horte der Kitas. Die Lüneburger Tafel biete zwar kein warmes Essen an, man erhalte dort aber sehr preisgünstig Lebensmittel, die für die Zubereitung einer gesunden Mahlzeit geeignet seien. Den Vorschlag für einen Standort in Kaltenmoor halte ihre Fraktion aufgrund der Fokussierung und Stigmatisierung des Stadtteiles für falsch. Gespräche mit der AWO hätten ergeben, dass man dort noch immer keine Kenntnis von den Plänen der Linken habe, ansonsten hätte die Linke auch erfahren, dass die AWO bereits ein anderes Konzept für das Kaffeehaus plane. Jüngste Gespräche mit der Diakonie und der Caritas zeigten, dass auch die Institutionen den Antrag so nicht unterstützen würden. Beide hätten aber im Falle einer anderen Konzeption ihr Mitwirken angeboten. Die Gruppe SPD/CDU schlage daher vor, die Verwaltung möge prüfen, von welchem Bedarf für eine solche Essenausgabe auszugehen sei und ob als mögliche Standorte die Mensen der Schulzentren Kreideberg und Kaltenmoor  in Anlehnung an das Modell in Bleckede in Frage kämen. In Betracht käme auch die Lehrküche der Gewerkschaft im Unibereich. An diesen Standorten hätte man die Logistik, die für die heute geltenden Hygienevorschriften benötigt werde. Zu klären wäre auch noch die Frage nach der Zielgruppe und die Prüfung, ob es dezentrale Angebote geben solle, vorstellbar wäre hier eine Essenausgabe mittags im Anschluss an die Schülerverpflegung.

 

Ratsfrau MAHLKE-VOß ist erfreut über die weitgehende Übereinstimmung mit der SPD-Fraktion. Etwas enttäuscht sei sie von der Stellungnahme der Verwaltung, die außer der Bezugnahme auf die glücklicherweise bereits vorhandene Kinder- und Jugendunterstützung wenig aktuelle Informationen biete. Es gebe jedoch leider auch andere Menschen in Lüneburg, die nicht über die Mittel verfügten, um sich jeden Tag ein warmes Mittagessen leisten zu können. Schwierig sei es beispielsweise für Menschen, denen der Strom abgestellt worden sei, sich ein Essen zu kochen, selbst wenn sie Lebensmittel von der Lüneburger Tafel erhielten. Sie halte beide Pauschalisierungen, es gebe hier keine armen Menschen oder es gebe hier besonders viele arme Menschen, für schwierig, man solle besser den tatsächlichen Bedarf feststellen, worum sie die Stadtverwaltung in Absprache mit den Sozialverbänden nochmals bitte. Die Ergebnisse könnten im Sozialausschuss vorgestellt werden, dort könnten die Fachleute alle Fragen im Zusammenhang mit einer solchen Einrichtung diskutieren.

 

Beigeordnete SCHELLMANN möchte vorausstellen, dass es in Zeiten nach dem ersten Weltkrieg und während der Weltwirtschaftskrise noch keine mit der heutigen Zeit vergleichbare Sozialgesetzgebung gegeben habe, daher sei damals die Einrichtung von Armenküchen zur Bekämpfung des Hungers in der Tat notwendig gewesen. Der Begriff Armenküche passe heutzutage nicht mehr, wenngleich es richtig sei, dass es in diesem Bereich Probleme gebe. Der vorgesehene Regelsatz sei an dieser Stelle eindeutig zu knapp bemessen und müsse nachgebessert werden, das sei aber eine Bundesangelegenheit und könne vor Ort in Lüneburg nicht geändert werden, insofern habe die Verwaltung recht, wenn sie dies schlicht so feststelle. Nicht alles, was der Bund versäume, könne die Stadt mit ihren noch knapperen Geldern erreichen. Sie habe mit einem Professor in Nürnberg telefoniert, der gesagt habe, dass es ein ganz großes Problem sei, eine Armenküche einzurichten, weil dies zu einer passiven Nutzung führte. Viel wichtiger sei es, in die Brennpunkte zu gehen und dort mit den Betroffenen überhaupt erst wieder die Fähigkeiten zu entwickeln, sich selbständig ein ausreichendes Essen auch mit knappen finanziellen Mitteln zuzubereiten. Diese verloren gegangene Fähigkeit müsse erst wieder erlernt werden, hier gelte es, Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Die Familienhilfe habe solche Angebote in der Vergangenheit bereitgestellt, sie seien aber nicht hinreichend angenommen worden, da sie bei der Familienhilfe schwellenmäßig etwas zu hoch angesetzt seien. Sie wünsche sich im Sozialausschuss eine in diese Richtung gehende Diskussion.

 

Erster Stadtrat KOCH ergänzt, dass auch die Verwaltung selbstverständlich befürworte, sich der Problematik mit Sorgfalt und unter Hinzuziehung der Sozialverbände im Sozialausschuss anzunehmen. Die Verwaltung sei für ihre Stellungnahme kritisiert worden, da sie auf den geschichtlichen Hintergrund der Armenküchen im 19. und 20. Jahrhundert hingewiesen habe. Er sei der Überzeugung, dass der Vergleich der sozialen Hintergründe von einst und jetzt durchaus in eine solche Stellungnahme gehöre, wenn man alte Begriffe wie Armenküche benutze. Man selbst und andere Kommunen würden derartige Einrichtungen im Hinblick auf das heutige Verständnis von Armut mit Recht nicht so benennen. Man habe eine umfassende Diskussion geführt, ob Lüneburg eine kommunale Armutsberichterstattung brauche. Es sei durchaus ein Unterschied, ob man eine weitreichende Verelendung der Bevölkerung wie in den zwanziger Jahren betrachte, oder ob Gerichte sich heute damit befassten, ob ein Farb- oder ein Schwarzweißfernseher oder welcher Schultornister die angemessene Ausstattung sei. Diese Fragen hätten nicht unbedingt etwas mit Armut zu tun, sondern mit Bedarfslagen. Aus diesem Grunde sei der historische Bezug in der Stellungnahme gerechtfertigt.

Zur Gesamtthematik ließe sich ein Fülle weiterer Fakten hinzufügen, so gebe es für Senioren eine Vielzahl von Angeboten freier Träger, etwa ‚Essen auf Rädern’, welches durch die Lieferung nach Hause den Vorteil biete, nicht zu stigmatisieren. Wichtiger noch sei es, dass in den vergangenen Jahren das bürgernahe System der Stadtteilhäuser und -treffs verbreitert werden konnte. In vielen dieser Häuser gebe es die Möglichkeit, gemeinsam Essen zuzubereiten und einzunehmen. Man müsse auch respektieren, dass die zahlreichen und vielfältig aktiven Wohlfahrtsverbände durchaus Eigeninitiative hätten und oft in noch höherem Maße als die Kommune Bedarfslagen erkennen und auf Missstände hinwiesen.

Ganz außer Acht lassen dürfe man bei der Diskussion aber auch nicht die Situation des Gastronomiegewerbes. Wenn das Angebot einer so genannten Armenküche über Gebühr angenommen werde, sei das eine bedenkliche Sache. Oft genug werde die Stadt vom Gaststättengewerbe kritisiert, dass in den Stadtteilhäusern gekocht werde, dass dort Selbstverpflegung stattfinde und Essen angeboten werde. Dies beeinträchtige die normalen Erwerbschancen der Gastronomen, die preiswertes Essen anbieten. Zu ihnen dürfe die Stadt nicht in eine wettbewerbliche Konkurrenz treten, es sei denn, es läge eine Legitimation vor, daher müsse sehr genau geprüft werden, ob die Inanspruchnahme tatsächlich von Bedürftigen erfolge. Wenn in Bleckede tatsächlich wöchentlich über einhundert Personen das dortige Angebot nutzten, seien durchaus Zweifel angebracht, ob es sich ausschließlich um Bedürftige handle.

 

Beschluss:

Beschluss:

 

Der Rat der Hansestadt Lüneburg beschließt einstimmig, den Antrag der Fraktion DIE LINKE  sowie die Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe SPD/CDU zur weiteren Beratung in den Sozial- und Gesundheitsausschuss zu überweisen.

 

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