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Beratungsinhalt: Ratsherr
MEIHSIES begründet
die Notwendigkeit der Resolution anhand einiger Zahlen und erinnert daran, dass
Entscheidungen auf Bundesebene immer wieder Auswirkungen auch auf das
Gemeinwesen in der Stadt Lüneburg haben. Es gebe in der Stadt Lüneburg rund
4.700 Kinder und Jugendliche in einer Armutssituation und rund 8.000
Bedarfsgemeinschaften. Bundesweit gebe es rund vier Millionen Menschen, die für
einen Niedriglohn arbeiteten. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen
Erwerbstätigen mit einem ergänzenden Anspruch auf Arbeitslosengeld II steige,
Schätzungen zufolge gebe es zu den bereits 630.000 Antragstellern weitere rund
zwei Millionen Anspruchsberechtigte, die jedoch aus den unterschiedlichsten
Gründen darauf verzichteten, dies in Anspruch zu nehmen. Man müsse auch in
einer Kommune zur Kenntnis nehmen, dass es bundesweit die Situation gebe, dass
für viele Menschen Armut trotz Arbeit herrsche. Diese Entwicklung zeige, dass
die Selbstregulierung auf dem Arbeitsmarkt versagt habe und es ohne eine
ordnungspolitische Reform dort nicht zu einem fairen Wettbewerb komme. Einwendungen,
dass Eingriffe auf dem Arbeitsmarkt dem freien Spiel der Kräfte zuwiderliefen,
seien nicht stichhaltig. Bereits jetzt entscheide nicht der Markt über die Höhe
der Löhne, der Staat greife vielmehr in hohem Maße ein, indem er über das ALG
II Löhne subventioniere. Immer mehr Löhne in Deutschland würden nicht mehr
allein vom Arbeitgeber, sondern zusätzlich vom Staat gezahlt. Die Löhne, die in
vielen Branchen gezahlt würden, entsprächen nicht mehr den Leistungen, die die
Menschen erbrächten. Dies verschärfe die soziale Lage durch massive Einschnitte
gerade auch für Kinder. Dieser realen Situation müsse begegnet werden. Die
europäische Sozialcharta von 1961 stelle fest, dass ein Lohn unter 60 % des
nationalen Nettodurchschnittslohnes nicht angemessen sei. Dies seien im Jahre
2003 nach Berechnungen des wissenschaftlichen Instituts der
Hans-Böckler-Stiftung 1.012 Euro, ein Betrag, der von 3,3 Millionen Menschen in
Deutschland nicht erreicht werde. Demgegenüber stünden massiv angestiegene
Bruttogewinne der Unternehmen, von rund 238,4 Milliarden im Jahre 1996 auf
mittlerweile 427,5 Milliarden im Jahre 2006. Tarifverträge würden hier nicht
mehr weiterhelfen, da viele der tariflich vereinbarten Löhne bereits im
Niedriglohnbereich lägen und bundesweit eine nachlassende Tarifbereitschaft
festzustellen sei. Mit der Forderung nach einem Mindestlohn in Deutschland
stehe man nicht alleine, eine Vielzahl von Ländern in der EG haben bereits
einen Mindestlohn eingeführt, als Beispiele nenne er nur Luxemburg, Irland,
Frankreich und Belgien. Ratsherr
RIECHEY begrüßt es,
dass die ständige Forderung seiner Partei nach einem Mindestlohn nun auch bei
den anderen Parteien angekommen sei und Früchte trage. Er erinnere daran, dass
die Linke das Thema im Jahre 2005 in den Bundestagswahlkampf eingebracht und
seinerzeit mit dieser Forderung noch alleine gestanden habe. Mittlerweile werbe
die SPD selbst im Wahlkampf mit diesem Thema. Auch die Grünen zeigten mit ihrem
Antrag, dass sie die Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohnes inzwischen
erkannt haben. Immerhin hätten die Grünen gemeinsam mit der SPD in der
rot/grünen Regierung seinerzeit der Hartz IV-Gesetzgebung zugestimmt und durch
das Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz erheblichen Lohndruck erzeugt, der vielfach
zu Lohnsenkungen und zu Nullrunden geführt habe. Er finde es gut, dass die
Grünen dies auf lokaler Ebene erkannt hätten und sich von der früheren Politik distanzierten.
Für die Debatte über einen gesetzlichen Mindestlohn könne man die Unterstützung
von allen Seiten brauchen. Es habe seit 1990 keine Nettolohnsteigerung in
Deutschland gegeben, gleichzeitig sei das Privatvermögen seither um 100
Milliarden gewachsen, diese Schere müsse endlich angegangen werden. Inhaltlich
sei bereits vieles gesagt worden, er möchte hinzufügen, dass man in Lüneburg
auch vor der eigenen Haustür damit anfangen müsse. Dazu habe seine Fraktion
einen eigenen Antrag für einen Mindestlohn bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge eingebracht, der noch zur Entscheidung anstehe. Hierfür müsse jedoch
das Vergabegesetz geändert werden, wofür seine Landtagsfraktion bereits einen
entsprechenden Antrag erarbeitet habe. Dennoch solle und könne man vor Ort
bereits genauer auf den Punkt der Zuverlässigkeit bei Unternehmen schauen, von
denen bekannt sei, dass sie keinen Mindestlohn zahlten. Dies sei nach dem
Vergabegesetz durchaus möglich. Die Abgabe einer allgemeinen Resolution
entbinde nicht von der Verpflichtung, vor Ort sich Gedanken zu machen, wie man
reale Veränderungen herbeiführen könne. Ratsherr
LUTHS entgegnet, dass
ein Mindestlohn psychologisch nachvollziehbar, ökonomisch hingegen fragwürdig
sei. Der Bundestag warte sicherlich nicht auf eine Resolution des Rates der
Hansestadt Lüneburg, er schaue vielmehr in das Grundgesetz, in dem den
Tarifparteien die Aufgabe zugewiesen worden sei, die Löhne miteinander
auszuhandeln. Löhne seien Preise für Arbeit, man tue gut daran, dem
Arbeitsmarkt zu überlassen, eine vernünftige Regelung zu finden. Sicherlich
seien sich alle einig, dass Arbeit soviel einbringen müsse, dass man davon
leben könne, ein gesetzlicher Mindestlohn sei aber nicht der richtige Weg.
Besser sei es, in Bildung zu investieren um jeden in die Lage zu versetzen, aus
eigenem Antrieb heraus so viel qualifizierte Arbeitsleistung erbringen zu
können, dass der Arbeitsmarkt ihm dafür einen Lohn biete, der ihm erlaube,
davon zu leben. Man müsse auch die Frage stellen, ob man nicht im Gegenzug für
die Arbeitgeber, die diesen Mindestlohn zu zahlen hätten, einen Mindestgewinn
fordern müsse. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn trage man zu Preissteigerungen
mit der Folge einer Inflation bei, die niemand wolle. Ordnungspolitisch hätte
es zur Folge, dass gering Qualifizierte und auch junge Arbeitnehmer vom
Arbeitsmarkt abgehängt würden. Zudem würde der Schwarzarbeit erheblicher
Vorschub geleistet. Aus diesen Gründen werde seine Fraktion den Antrag
ablehnen. Beigeordnete
LOTZE erinnert
daran, dass es nicht die Linken gewesen seien, sondern Gerhard Schröder, der
das Thema Mindestlohn zum ersten Mal in’s Gespräch gebracht habe. Dem
Antrag der Linkspartei auf Bundesebene habe die SPD nicht zugestimmt, da die
Koalition in Berlin eine andere Strategie habe. Die SPD sei grundsätzlich für
einen gesetzlichen Mindestlohn, wenngleich die Tarifautonomie oberste Priorität
habe. Auch ihre Partei finde es skandalös und nicht akzeptabel, dass es
Menschen gebe, die für eine Vollzeitbeschäftigung lediglich einen bis drei Euro
erhielten. Daher sei ihr politisches Ziel auch ein gesetzlicher Mindestlohn. Gleichwohl
habe sich die bereits aus dem Juli stammende Resolution überholt durch das, was
in Bundestag und Parlament bereits auf den Weg gebracht worden sei. Es seien
mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz und dem Mindestarbeitsbedingungengesetz zwei
Gesetze in der parlamentarischen Beratung, die mit dem Ziel modernisiert werden
sollen, einen Mindestlohn, bzw. eine Lohnuntergrenze einzuführen. Die
Abgrenzung zwischen beiden Gesetzen liege im Kriterium der Tarifbindung: Sofern
in einem Tarifvertrag mehr als 50 % der Arbeitnehmer eingebunden seien, könnten
beide Tarifpartner den Antrag stellen, in das Arbeitnehmerentsendegesetz
aufgenommen zu werden mit der Folge, dass es einen Mindestlohn geben werde.
Seien es weniger als 50 %, gelte das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Man sei
mit der parlamentarischen Beratung auf einem guten Weg, für Mindestlöhne zu
sorgen, da sowohl der Tarifvertragsbereich abgedeckt sei, als auch der Bereich,
in dem es keine Tarifverträge gebe. Daher sei die Verabschiedung der
beantragten Resolution überflüssig. Ratsherr
REINECKE verweist
darauf, dass es einfach sei, Geschenke zu verteilen, es sei aber unredlich, der
Bevölkerung die negativen Folgen zu verschweigen. Entscheidend seien nicht die
Mindestlöhne, sondern das Nettoeinkommen, bzw. der Rest, der vom Nettoeinkommen
nach Abzug weiterer Belastungen übrig bleibe. Die Mindestlöhne garantierten nur
ein Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers, ohne dass die Familiensituation im
Einzelfall berücksichtigt werde. Mindestlöhne hebelten aus, was durch die
Neuerungen der Hartz IV-Gesetzgebung an positiven Effekten erzielt worden sei.
Es habe eine Abnahme insbesondere der Langzeitarbeitslosigkeit im hohen
sechsstelligen Bereich gegeben. Dies zeige, dass die harten Maßnahmen der
Regulierung Wirkung haben. Mindestlöhne seien in jedem Fall die falsche
Antwort, um auf die Herausforderung aus der europäischen Erweiterung und den
zunehmenden Wettbewerbsdruck aus dem Ausland mit dort deutlich niedrigeren
Löhnen zu reagieren. Man brauche sich dazu nur die Probleme in den
Grenzregionen zu Polen und Tschechien anzusehen. Die Probleme des
Arbeitsmarktes würden durch Mindestlöhne nicht gelöst, insbesondere sei
aufgrund der Erfahrungen in Frankreich und England ein dramatischer Anstieg der
Jugendarbeitslosigkeit zu befürchten, die Ausschreitungen in Paris seien darauf
in erster Linie zurückzuführen. Ein Mindestlohn berücksichtige auch in keiner
Weise die regional unterschiedlichen Lebenshaltungskosten innerhalb Deutschlands.
Zudem sei zu erwarten, dass sofort Umgehungstatbestände geschaffen würden. Das
sei zwar unredlich, finde in der Praxis aber statt. Erreichen würde man mit
einem Mindestlohn den Abbau von Arbeitsplätzen im geringqualifizierten und
geringproduktiven Bereich. Glücklicherweise gebe es über die Hartz IV- und die
Sozialgesetzgebung die Möglichkeit, jenen Menschen Unterstützung durch
Transferleistungen zu gewähren, die gerade aufgrund ihrer geringen
Qualifizierung oder aufgrund des Wettbewerbsdrucks Arbeiten ausführten, die
nicht höher vergütet werden können. Die staatlichen Transferleistungen wirkten
bereits wie ein implizierter Mindestlohn. Mindestlöhne führten zu
Preissteigerungen und schmälerten dadurch wiederum die Kaufkraft derer, für die
ein Mindestlohn gefordert werde. Deutschland brauche einen funktionsfähigen
Niedriglohnsektor, es müssten die Voraussetzungen geschaffen werden, die die
Aufnahme einer auch nur gering entlohnten Beschäftigung gegenüber der
ausschließlichen Inanspruchnahme staatlicher Transferleistungen attraktiver
machten. Die bestehenden Regelungen zur sozialen Absicherung müssten
vereinfacht und unbürokratischer gestaltet werden. Ein garantiertes, möglichst
steuerfreies Mindesteinkommen dürfe den Marktmechanismus nicht außer Kraft
setzen. Die beste Lösung habe die FDP mit dem Bürgergeldkonzept und mit der
negativen Einkommensteuererklärung entwickelt. Beigeordneter BLANCK erwidert, dass man unter die Ausführungen von Ratsherrn
Reinecke am besten einen Strich ziehen und als Tendenz vermerken solle,
Ausbeutung müsse sich weiter lohnen. Die CDU sage, sie hätte gerne den Effekt
des Mindestlohnes – also ein auskömmliches Einkommen – und setze
ganz auf den Faktor Bildung. Dies unterstütze er zwar, Bildung alleine sei aber
nicht der Schlüssel, die CDU müsse sich die Frage gefallen lassen, was man bis
dahin mache. Was mache man mit den Menschen, die jetzt dem Arbeitsmarkt
zur Verfügung stehen und diese Bildung nicht erfahren haben ? Man könne dieses
Problem nicht einfach in die Zukunft vertagen, sondern müsse sich jetzt darum
kümmern. Er rate hier zur Kompromissbereitschaft, wie die CDU es auf
Bundesebene tendenziell ja auch sei, ansonsten müsse man sich nicht wundern,
wenn bestimmte Forderungen immer lauter und Wahlergebnisse immer schlechter
würden. Zur SPD finde er bemerkenswert, dass gesagt werde, man brauche die
Resolution nicht mehr, da alles auf den Weg gebracht worden sei. Bis zur
Landtagswahl vor wenigen Tagen habe die SPD jedoch noch an jedem Straßenrand
mit der Forderung nach einem Mindestlohn geworben. Die Glaubwürdigkeit der
SPD-Fraktion im Stadtrat sinke mit der heutigen Ablehnung der Resolution auf
Null. Ratsherr MEIHSIES ergänzt, dass noch bis zur Landtagswahl seitens der SPD
Unterschriften für einen gesetzlichen Mindestlohn gesammelt worden seien und
sich die SPD-Fraktion bei der Entscheidung über die Resolution heute in die
Büsche schlage. Die Glaubwürdigkeit werde dadurch nicht besser. Zitieren wolle
er den Bauarbeitgeberpräsidenten Löwenstein, in dessen Bereich es schon seit
elf Jahren Mindestlöhne gebe und der in einem SPIEGEL-Artikel gesagt habe, dass
man insgesamt gute Erfahrungen gemacht habe; ohne Mindestlohn würden noch mehr
Menschen aus Osteuropa zu sehr niedrigen Löhnen auf deutschen Baustellen
arbeiten. Das Hauptproblem sei, dass der Mindestlohn massenhaft unterschritten
und von vielen ignoriert werde. Hier sei ein Arbeitgeberpräsident der klar
sage, dass man einen Mindestlohn brauche, damit die Standards nicht
unterschritten würden. Die Darstellung der FDP, die Tarifvertragsparteien
würden die Tarife aushandeln, sei zu einfach, da nur noch 57 % der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt in der Lage seien, über
Tarifverträge einen Lohn auszuhandeln. Auf dem Markt steige die Tendenz zu
einer freihändigen Entwicklung. Es sei das Gebot der Stunde, diejenigen nicht
im Stich zu lassen, die aufgrund niedriger Löhne in Armut fallen. Daher hätte
er heute eigentlich einen Konsens gerade der linken Kräfte im Rat erwartet,
doch die SPD habe sich gegen ihre eigene Programmatik entschieden. Ratsherr SRUGIS bekräftigt, dass aus dem Beitrag von Ratsfrau Lotze
deutlich geworden sei, dass die SPD eindeutig und ohne wenn und aber für den
Mindestlohn stehe. Ratsherr Blanck solle der SPD nicht vorwerfen, ein
Bundesthema in den Landtagswahlkampf eingebracht zu haben, wenn die Grünen
selbst den Mindestlohn nun sogar auf kommunaler Ebene thematisieren und
diskutieren wollen. Er erinnere aber daran, dass man hier und heute nicht über
den Mindestlohn entscheide, das Thema gehöre dorthin, wo es entschieden werde,
nämlich in den Bundestag. Nachdem dort bereits zwei Gesetze diskutiert würden,
könne man mit der Resolution nichts mehr bewegen, daher lehne man die
Resolution ab, jedoch keineswegs den Mindestlohn. Dies müsse klar unterschieden
werden. Beschluss: Der
Rat der Hansestadt Lüneburg lehnt den Antrag mehrheitlich mit den Stimmen der
Gruppe SPD/CDU und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion
DIE LINKE ab. (01) |
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