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Auszug - Resolution für einen gesetzlichen Mindestlohn (Antrag der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 25.07.2007, eingegangen am 26.07.2007)  

 
 
Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Rates der Stadt Lüneburg
TOP: Ö 6.1
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: abgelehnt
Datum: Do, 31.01.2008    
Zeit: 17:00 - 19:50 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/2498/07 Resolution für einen gesetzlichen Mindestlohn (Antrag der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 25.07.2007, eingegangen am 26.07.2007)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Antrag d. Fraktion Bündnis90/Die Grünen
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Beteiligt:Fachbereich 5-1 - Soziales und Integration
Bearbeiter/-in: Gieseking, Stefan   
 
Wortprotokoll
Beschluss

Beratungsinhalt:

 

Beratungsinhalt:

 

Ratsherr MEIHSIES begründet die Notwendigkeit der Resolution anhand einiger Zahlen und erinnert daran, dass Entscheidungen auf Bundesebene immer wieder Auswirkungen auch auf das Gemeinwesen in der Stadt Lüneburg haben. Es gebe in der Stadt Lüneburg rund 4.700 Kinder und Jugendliche in einer Armutssituation und rund 8.000 Bedarfsgemeinschaften. Bundesweit gebe es rund vier Millionen Menschen, die für einen Niedriglohn arbeiteten. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen mit einem ergänzenden Anspruch auf Arbeitslosengeld II steige, Schätzungen zufolge gebe es zu den bereits 630.000 Antragstellern weitere rund zwei Millionen Anspruchsberechtigte, die jedoch aus den unterschiedlichsten Gründen darauf verzichteten, dies in Anspruch zu nehmen. Man müsse auch in einer Kommune zur Kenntnis nehmen, dass es bundesweit die Situation gebe, dass für viele Menschen Armut trotz Arbeit herrsche. Diese Entwicklung zeige, dass die Selbstregulierung auf dem Arbeitsmarkt versagt habe und es ohne eine ordnungspolitische Reform dort nicht zu einem fairen Wettbewerb komme. Einwendungen, dass Eingriffe auf dem Arbeitsmarkt dem freien Spiel der Kräfte zuwiderliefen, seien nicht stichhaltig. Bereits jetzt entscheide nicht der Markt über die Höhe der Löhne, der Staat greife vielmehr in hohem Maße ein, indem er über das ALG II Löhne subventioniere. Immer mehr Löhne in Deutschland würden nicht mehr allein vom Arbeitgeber, sondern zusätzlich vom Staat gezahlt. Die Löhne, die in vielen Branchen gezahlt würden, entsprächen nicht mehr den Leistungen, die die Menschen erbrächten. Dies verschärfe die soziale Lage durch massive Einschnitte gerade auch für Kinder. Dieser realen Situation müsse begegnet werden. Die europäische Sozialcharta von 1961 stelle fest, dass ein Lohn unter 60 % des nationalen Nettodurchschnittslohnes nicht angemessen sei. Dies seien im Jahre 2003 nach Berechnungen des wissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung 1.012 Euro, ein Betrag, der von 3,3 Millionen Menschen in Deutschland nicht erreicht werde. Demgegenüber stünden massiv angestiegene Bruttogewinne der Unternehmen, von rund 238,4 Milliarden im Jahre 1996 auf mittlerweile 427,5 Milliarden im Jahre 2006. Tarifverträge würden hier nicht mehr weiterhelfen, da viele der tariflich vereinbarten Löhne bereits im Niedriglohnbereich lägen und bundesweit eine nachlassende Tarifbereitschaft festzustellen sei. Mit der Forderung nach einem Mindestlohn in Deutschland stehe man nicht alleine, eine Vielzahl von Ländern in der EG haben bereits einen Mindestlohn eingeführt, als Beispiele nenne er nur Luxemburg, Irland, Frankreich und Belgien.

 

Ratsherr RIECHEY begrüßt es, dass die ständige Forderung seiner Partei nach einem Mindestlohn nun auch bei den anderen Parteien angekommen sei und Früchte trage. Er erinnere daran, dass die Linke das Thema im Jahre 2005 in den Bundestagswahlkampf eingebracht und seinerzeit mit dieser Forderung noch alleine gestanden habe. Mittlerweile werbe die SPD selbst im Wahlkampf mit diesem Thema. Auch die Grünen zeigten mit ihrem Antrag, dass sie die Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohnes inzwischen erkannt haben. Immerhin hätten die Grünen gemeinsam mit der SPD in der rot/grünen Regierung seinerzeit der Hartz IV-Gesetzgebung zugestimmt und durch das Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz erheblichen Lohndruck erzeugt, der vielfach zu Lohnsenkungen und zu Nullrunden geführt habe. Er finde es gut, dass die Grünen dies auf lokaler Ebene erkannt hätten und sich von der früheren Politik distanzierten. Für die Debatte über einen gesetzlichen Mindestlohn könne man die Unterstützung von allen Seiten brauchen. Es habe seit 1990 keine Nettolohnsteigerung in Deutschland gegeben, gleichzeitig sei das Privatvermögen seither um 100 Milliarden gewachsen, diese Schere müsse endlich angegangen werden. Inhaltlich sei bereits vieles gesagt worden, er möchte hinzufügen, dass man in Lüneburg auch vor der eigenen Haustür damit anfangen müsse. Dazu habe seine Fraktion einen eigenen Antrag für einen Mindestlohn bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eingebracht, der noch zur Entscheidung anstehe. Hierfür müsse jedoch das Vergabegesetz geändert werden, wofür seine Landtagsfraktion bereits einen entsprechenden Antrag erarbeitet habe. Dennoch solle und könne man vor Ort bereits genauer auf den Punkt der Zuverlässigkeit bei Unternehmen schauen, von denen bekannt sei, dass sie keinen Mindestlohn zahlten. Dies sei nach dem Vergabegesetz durchaus möglich. Die Abgabe einer allgemeinen Resolution entbinde nicht von der Verpflichtung, vor Ort sich Gedanken zu machen, wie man reale Veränderungen herbeiführen könne.

 

Ratsherr LUTHS entgegnet, dass ein Mindestlohn psychologisch nachvollziehbar, ökonomisch hingegen fragwürdig sei. Der Bundestag warte sicherlich nicht auf eine Resolution des Rates der Hansestadt Lüneburg, er schaue vielmehr in das Grundgesetz, in dem den Tarifparteien die Aufgabe zugewiesen worden sei, die Löhne miteinander auszuhandeln. Löhne seien Preise für Arbeit, man tue gut daran, dem Arbeitsmarkt zu überlassen, eine vernünftige Regelung zu finden. Sicherlich seien sich alle einig, dass Arbeit soviel einbringen müsse, dass man davon leben könne, ein gesetzlicher Mindestlohn sei aber nicht der richtige Weg. Besser sei es, in Bildung zu investieren um jeden in die Lage zu versetzen, aus eigenem Antrieb heraus so viel qualifizierte Arbeitsleistung erbringen zu können, dass der Arbeitsmarkt ihm dafür einen Lohn biete, der ihm erlaube, davon zu leben. Man müsse auch die Frage stellen, ob man nicht im Gegenzug für die Arbeitgeber, die diesen Mindestlohn zu zahlen hätten, einen Mindestgewinn fordern müsse. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn trage man zu Preissteigerungen mit der Folge einer Inflation bei, die niemand wolle. Ordnungspolitisch hätte es zur Folge, dass gering Qualifizierte und auch junge Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt abgehängt würden. Zudem würde der Schwarzarbeit erheblicher Vorschub geleistet. Aus diesen Gründen werde seine Fraktion den Antrag ablehnen.

 

Beigeordnete LOTZE erinnert daran, dass es nicht die Linken gewesen seien, sondern Gerhard Schröder, der das Thema Mindestlohn zum ersten Mal in’s Gespräch gebracht habe. Dem Antrag der Linkspartei auf Bundesebene habe die SPD nicht zugestimmt, da die Koalition in Berlin eine andere Strategie habe. Die SPD sei grundsätzlich für einen gesetzlichen Mindestlohn, wenngleich die Tarifautonomie oberste Priorität habe. Auch ihre Partei finde es skandalös und nicht akzeptabel, dass es Menschen gebe, die für eine Vollzeitbeschäftigung lediglich einen bis drei Euro erhielten. Daher sei ihr politisches Ziel auch ein gesetzlicher Mindestlohn. Gleichwohl habe sich die bereits aus dem Juli stammende Resolution überholt durch das, was in Bundestag und Parlament bereits auf den Weg gebracht worden sei. Es seien mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz und dem Mindestarbeitsbedingungengesetz zwei Gesetze in der parlamentarischen Beratung, die mit dem Ziel modernisiert werden sollen, einen Mindestlohn, bzw. eine Lohnuntergrenze einzuführen. Die Abgrenzung zwischen beiden Gesetzen liege im Kriterium der Tarifbindung: Sofern in einem Tarifvertrag mehr als 50 % der Arbeitnehmer eingebunden seien, könnten beide Tarifpartner den Antrag stellen, in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen zu werden mit der Folge, dass es einen Mindestlohn geben werde. Seien es weniger als 50 %, gelte das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Man sei mit der parlamentarischen Beratung auf einem guten Weg, für Mindestlöhne zu sorgen, da sowohl der Tarifvertragsbereich abgedeckt sei, als auch der Bereich, in dem es keine Tarifverträge gebe. Daher sei die Verabschiedung der beantragten Resolution überflüssig.

 

Ratsherr REINECKE verweist darauf, dass es einfach sei, Geschenke zu verteilen, es sei aber unredlich, der Bevölkerung die negativen Folgen zu verschweigen. Entscheidend seien nicht die Mindestlöhne, sondern das Nettoeinkommen, bzw. der Rest, der vom Nettoeinkommen nach Abzug weiterer Belastungen übrig bleibe. Die Mindestlöhne garantierten nur ein Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers, ohne dass die Familiensituation im Einzelfall berücksichtigt werde. Mindestlöhne hebelten aus, was durch die Neuerungen der Hartz IV-Gesetzgebung an positiven Effekten erzielt worden sei. Es habe eine Abnahme insbesondere der Langzeitarbeitslosigkeit im hohen sechsstelligen Bereich gegeben. Dies zeige, dass die harten Maßnahmen der Regulierung Wirkung haben. Mindestlöhne seien in jedem Fall die falsche Antwort, um auf die Herausforderung aus der europäischen Erweiterung und den zunehmenden Wettbewerbsdruck aus dem Ausland mit dort deutlich niedrigeren Löhnen zu reagieren. Man brauche sich dazu nur die Probleme in den Grenzregionen zu Polen und Tschechien anzusehen. Die Probleme des Arbeitsmarktes würden durch Mindestlöhne nicht gelöst, insbesondere sei aufgrund der Erfahrungen in Frankreich und England  ein dramatischer Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu befürchten, die Ausschreitungen in Paris seien darauf in erster Linie zurückzuführen. Ein Mindestlohn berücksichtige auch in keiner Weise die regional unterschiedlichen Lebenshaltungskosten innerhalb Deutschlands. Zudem sei zu erwarten, dass sofort Umgehungstatbestände geschaffen würden. Das sei zwar unredlich, finde in der Praxis aber statt. Erreichen würde man mit einem Mindestlohn den Abbau von Arbeitsplätzen im geringqualifizierten und geringproduktiven Bereich. Glücklicherweise gebe es über die Hartz IV- und die Sozialgesetzgebung die Möglichkeit, jenen Menschen Unterstützung durch Transferleistungen zu gewähren, die gerade aufgrund ihrer geringen Qualifizierung oder aufgrund des Wettbewerbsdrucks Arbeiten ausführten, die nicht höher vergütet werden können. Die staatlichen Transferleistungen wirkten bereits wie ein implizierter Mindestlohn. Mindestlöhne führten zu Preissteigerungen und schmälerten dadurch wiederum die Kaufkraft derer, für die ein Mindestlohn gefordert werde. Deutschland brauche einen funktionsfähigen Niedriglohnsektor, es müssten die Voraussetzungen geschaffen werden, die die Aufnahme einer auch nur gering entlohnten Beschäftigung gegenüber der ausschließlichen Inanspruchnahme staatlicher Transferleistungen attraktiver machten. Die bestehenden Regelungen zur sozialen Absicherung müssten vereinfacht und unbürokratischer gestaltet werden. Ein garantiertes, möglichst steuerfreies Mindesteinkommen dürfe den Marktmechanismus nicht außer Kraft setzen. Die beste Lösung habe die FDP mit dem Bürgergeldkonzept und mit der negativen Einkommensteuererklärung entwickelt.

 

Beigeordneter BLANCK erwidert, dass man unter die Ausführungen von Ratsherrn Reinecke am besten einen Strich ziehen und als Tendenz vermerken solle, Ausbeutung müsse sich weiter lohnen. Die CDU sage, sie hätte gerne den Effekt des Mindestlohnes – also ein auskömmliches Einkommen – und setze ganz auf den Faktor Bildung. Dies unterstütze er zwar, Bildung alleine sei aber nicht der Schlüssel, die CDU müsse sich die Frage gefallen lassen, was man bis dahin mache. Was mache man mit den Menschen, die jetzt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und diese Bildung nicht erfahren haben ? Man könne dieses Problem nicht einfach in die Zukunft vertagen, sondern müsse sich jetzt darum kümmern. Er rate hier zur Kompromissbereitschaft, wie die CDU es auf Bundesebene tendenziell ja auch sei, ansonsten müsse man sich nicht wundern, wenn bestimmte Forderungen immer lauter und Wahlergebnisse immer schlechter würden. Zur SPD finde er bemerkenswert, dass gesagt werde, man brauche die Resolution nicht mehr, da alles auf den Weg gebracht worden sei. Bis zur Landtagswahl vor wenigen Tagen habe die SPD jedoch noch an jedem Straßenrand mit der Forderung nach einem Mindestlohn geworben. Die Glaubwürdigkeit der SPD-Fraktion im Stadtrat sinke mit der heutigen Ablehnung der Resolution auf Null.

 

Ratsherr MEIHSIES ergänzt, dass noch bis zur Landtagswahl seitens der SPD Unterschriften für einen gesetzlichen Mindestlohn gesammelt worden seien und sich die SPD-Fraktion bei der Entscheidung über die Resolution heute in die Büsche schlage. Die Glaubwürdigkeit werde dadurch nicht besser. Zitieren wolle er den Bauarbeitgeberpräsidenten Löwenstein, in dessen Bereich es schon seit elf Jahren Mindestlöhne gebe und der in einem SPIEGEL-Artikel gesagt habe, dass man insgesamt gute Erfahrungen gemacht habe; ohne Mindestlohn würden noch mehr Menschen aus Osteuropa zu sehr niedrigen Löhnen auf deutschen Baustellen arbeiten. Das Hauptproblem sei, dass der Mindestlohn massenhaft unterschritten und von vielen ignoriert werde. Hier sei ein Arbeitgeberpräsident der klar sage, dass man einen Mindestlohn brauche, damit die Standards nicht unterschritten würden. Die Darstellung der FDP, die Tarifvertragsparteien würden die Tarife aushandeln, sei zu einfach, da nur noch 57 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt in der Lage seien, über Tarifverträge einen Lohn auszuhandeln. Auf dem Markt steige die Tendenz zu einer freihändigen Entwicklung. Es sei das Gebot der Stunde, diejenigen nicht im Stich zu lassen, die aufgrund niedriger Löhne in Armut fallen. Daher hätte er heute eigentlich einen Konsens gerade der linken Kräfte im Rat erwartet, doch die SPD habe sich gegen ihre eigene Programmatik entschieden.

 

Ratsherr SRUGIS bekräftigt, dass aus dem Beitrag von Ratsfrau Lotze deutlich geworden sei, dass die SPD eindeutig und ohne wenn und aber für den Mindestlohn stehe. Ratsherr Blanck solle der SPD nicht vorwerfen, ein Bundesthema in den Landtagswahlkampf eingebracht zu haben, wenn die Grünen selbst den Mindestlohn nun sogar auf kommunaler Ebene thematisieren und diskutieren wollen. Er erinnere aber daran, dass man hier und heute nicht über den Mindestlohn entscheide, das Thema gehöre dorthin, wo es entschieden werde, nämlich in den Bundestag. Nachdem dort bereits zwei Gesetze diskutiert würden, könne man mit der Resolution nichts mehr bewegen, daher lehne man die Resolution ab, jedoch keineswegs den Mindestlohn. Dies müsse klar unterschieden werden.

 

 

Beschluss:

Beschluss:

 

Der Rat der Hansestadt Lüneburg lehnt den Antrag mehrheitlich mit den Stimmen der Gruppe SPD/CDU und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen  der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE ab.

 

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