Bürgerinformationssystem

Auszug - Beschäftigungsprojekt für ältere Langzeitarbeitslose (Antrag der Gruppe SPD/CDU vom 07.05.2007)  

 
 
Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Rates der Stadt Lüneburg
TOP: Ö 7.2
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: zurückgezogen
Datum: Do, 27.09.2007    
Zeit: 17:00 - 20:15 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/2402/07 Beschäftigungsprojekt für ältere Langzeitarbeitslose (Antrag der Gruppe SPD/CDU vom 07.05.2007)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Antrag der Gruppe SPD/CDU
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Beteiligt:Fachstelle 502 - Demografischer Wandel, Senioren
Bearbeiter/-in: Gieseking, Stefan   
 
Wortprotokoll
Beschluss

  Das Dokument wurde eben bearbeitet. Sie können die aktuelle Version in Kürze ansehen - bitte aktualisieren Sie dazu die Browseransicht mit 'Neu laden' (F5).  

Beratungsinhalt:

 

Beratungsinhalt:

 

Ratsfrau GÜNTNER legt dar, dass das beantragte Projekt seit August bereits umgesetzt werde, dies werde ausdrücklich begrüßt. Ihrer Fraktion sei bewusst, dass mit dieser Maßnahme nicht die Probleme der Arbeitslosigkeit im existenzsichernden Bereich grundlegend gelöst werden können, sie sei aber ein guter Beitrag in einem Segment der Arbeitslosigkeit, in dem ältere Langzeitarbeitslose kaum eine Chance auf Rückkehr in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt hätten, zumal die Zahl der älteren Menschen an der Arbeitslosenquote höher sei als die anderer Altersgruppen. Demgegenüber könnten bestimmte Arbeiten in der Kommune aufgrund Personalmangels nicht oder nur unzureichend ausgeführt werden. Wenngleich viele dieser Tätigkeiten unterhalb der eigentlichen Qualifizierung vieler Arbeitsloser lägen, böten sie dennoch eine Chance zur Teilhabe am Arbeitsprozess. Dies könne helfen, dass sich die Menschen nicht als Last der Gesellschaft empfänden, sondern sich mit ihren langjährigen Erfahrungen und Kompetenzen wieder aktiv in das gesellschaftliche Leben einbringen könnten. Seit August würden im Landkreis Lüneburg bereits älteren Langzeitarbeitslosen im Rahmen dieser Initiative neue Beschäftigungsmöglichkeiten geboten. Rund zweihundert solcher Angebote seien bisher geschaffen worden. Sie ermöglichten den darin Beschäftigten die Verbesserung ihres Einkommens, da die von der ARGE hierfür gezahlten zwei Euro nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet würden. Zudem sei die Maßnahme nicht wie die klassischen Ein-Euro-Jobs auf sechs bis neun Monate begrenzt, sondern auf einen Zeitraum bis zum Renteneintritt angelegt. Die Politik sollte dem Modell der Bürgerarbeit Chancen einräumen, da sie das gesellschaftliche Miteinander beleben könnte.

 

Bürgermeister DR. SCHARF unterstreicht die Ausführungen seiner Vorrednerin. Arbeitslosigkeit sei ein gesamtgesellschaftliches Problem. Mit dem Antrag wolle man den älteren Arbeitslosen nicht nur die Teilhabe an ihrem Problem signalisieren, sondern auch tatsächlich etwas für sie tun. Für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen zu können schaffe persönliche Perspektiven, stärke den Lebensmut und könne neue Fähigkeiten wecken. Obgleich der Antrag noch nicht im Rat behandelt werden konnte, habe die Verwaltung bereits Ergebnisse vorzuweisen, da auch sie die Dringlichkeit des Problems erkannt habe. Allein in der Stadt Lüneburg seien über einhundert Arbeitslose der Generation 50+ in den Arbeitsprozess eingefügt worden und nähmen gemeinnützige und zusätzliche Arbeiten wahr. Die schwierige Definition des Begriffes der zusätzlichen Arbeit habe die Verwaltung gemeistert, so dass auch der Personalrat der Stadt Lüneburg und die Kreishandwerkerschaft den Maßnahmen zugestimmt haben. Besonders positiv für die Betroffenen sei die Ausweitung der Beschäftigung auf eine zeitlich unbefristete Dauer zu bewerten. Der entscheidende Punkt sei aber, dass sich die Menschen aus diesem Arbeitsverhältnis heraus mit einer echten Chance auch um Beschäftigungen auf dem ersten Arbeitsmarkt bewerben können.

 

Ratsherr KUNATH empfindet die Ein- und Zwei-Euro-Jobs für die Menschen als Zumutung. Er richte an Herrn Dörbaum die Frage, wie dessen Fraktion älteren Langzeitarbeitslosen helfen wolle, indem sie sie zu Arbeiten für einen Stundenlohn von nur zwei Euro zwinge unter Androhung von Kürzung oder Verlust ihrer ALGII-Bezüge im Falle der Weigerung. Zwangsarbeit unter einem Mindestlohn von 7,50 Euro sei entwürdigend, sie stelle Menschen als wertlose Last für die Gesellschaft dar. Durch die genannten Projekte könnten die betroffenen Menschen keinerlei sozialversicherungspflichtige Leistungen oder Rentenbezüge aufbauen. Die Dauer dieser Tätigkeit fehle später bei der Anrechnung auf eine menschenwürdige Rente. Die Forderung nach Zwei-Euro-Jobs lasse sich nicht vereinbaren mit der Forderung der SPD auf Bundesebene nach einem Mindestlohn.

 

Ratsfrau MAHLKE-VOß weist darauf hin, dass die Personen aus der Gruppe der schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen 50+ häufig sogenannte multiple Problemlagen wie etwa Drogen- oder Alkoholprobleme aufweisen würden. Eine bundesweite Erhebung komme auf etwa 6,5 Millionen Menschen, die zu dieser Gruppe gehören. Um ihnen zu begegnen, sei im Februar diesen Jahres der sogenannte dritte Arbeitsmarkt eröffnet worden, dessen Arbeitsfelder zwischen Markt und Staat lägen und gemeinwohlorientiert seien. Es sei vom Bund vorgesehen, dass diese Arbeiten nicht in den Wettbewerb auf dem freien Markt eingreifen dürfen, es sich also tatsächlich um zusätzliche Beschäftigung handeln müsse. In der Praxis sei eine solche Abgrenzung schwierig, gerade im Bereich der im Antrag genannten Grünanlagen sei der Übergang bei den einzelnen Arbeiten fließend, daher bedürfe es klarer Kriterien und einer entsprechenden Kontrolle. Sinn und Zweck von AGH-Maßnahmen in Form von Ein-Euro-Jobs sei es prinzipiell, für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen, daher seien sie in ihrer zeitlichen Dauer begrenzt. Mit der Einführung einer Dauerhaftigkeit würde dieser Zweck ad absurdum geführt. Einem Menschen, der in Vollzeitarbeit tätig sein könnte, werde kein positiver Stellenwert in der Gesellschaft vermittelt, wenn er mit seiner Tätigkeit weiterhin und dauerhaft von der öffentlichen Hand abhängig bleibe. Es sei wichtig, die Menschen nach der Teilnahme an einer AGH in sozialversicherungspflichtige Jobs zu vermitteln. Das Modell 50+ sei prinzipiell sinnvoll, wenn es den geschützten Rahmen für Personen mit multiplen Problemlagen biete, damit sich die Betroffenen sozial stabilisieren können. Hierzu sei eine Betreuung beispielsweise durch Sozialpädagogen erforderlich, wie die Erfolge der Neuen Arbeit oder Job Sozial belegten. Die Trägerschaft sollte daher nicht an die Bildungs- und Kulturgesellschaft gehen.

 

Ratsherr SOLDAN möchte noch ergänzen, dass es leider so sei, dass in unserer Gesellschaft sich das Selbstwertgefühl einer Person sehr oft an der Arbeit ausrichte. Solange dies so sei, müsse man dafür sorgen, dass Personen, die Schwierigkeiten in ihrer sozialen Situation haben, auch in Arbeit kommen. Nicht allein aus finanziellen Gründen, sondern um das Selbstwertgefühl wieder aufzurichten. Weiterhin sei es oftmals erforderlich, Personen Hilfestellung zu geben, die über eine sehr lange Zeit arbeitslos waren, um sie wieder an das normale Arbeiten heranzuführen. Es sei wichtig, dass die Schaffung von Zwei-Euro-Jobs nicht andere Arbeitsplätze vernichte, sondern sich auf zusätzliche Tätigkeiten beschränke. Nachdem das Beschäftigungsprojekt im August angelaufen sei, habe er von der Gruppe SPD/CDU eigentlich erwartet, dass sie den Antrag zurücknehme, da er sich ja erledigt habe. Man hätte sich dadurch die Zeit für andere Diskussionen sparen können.

 

Erster Stadtrat KOCH möchte einige klarstellende Bemerkungen anbringen. Man stehe auf dem Boden des Grundgesetzes, wonach man in einer demokratischen und sozialen Marktwirtschaft lebe, von der der Arbeitsmarkt ein Teil sei. Er solle prinzipiell selbstregulierend sein, wenn er dies nicht könne, sei es Aufgabe der großen Politik, die nötige begleitende Unterstützung und Hilfe zu organisieren. Die entsprechenden Stichworte wie Mindestlohn oder Arbeitszeitverkürzung bezeichneten Grundsatzthemen, die man nicht auf lokaler Ebene beschließen könne. Dennoch könne man mit kommunalen Mitteln Fehlentwicklungen abfedern und mildern, wie man es auch immer schon unternommen habe. Hier sei als Beispiel der Wasserturm zu nennen, der als gemeinnütziges Projekt realisiert wurde. Schon damals habe es Meinungsverschiedenheiten mit den Wirtschaftsverbänden und der Kreishandwerkerschaft gegeben, ob diese und andere Aufgaben tatsächlich auch zusätzlich seien. Aufträge an die Handwerkerschaft, die zuvor aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht erteilt werden konnten,  kamen nach der Etablierung des Projektes zustande, wodurch die Maßnahme entgegen vorheriger Befürchtungen sogar wirtschaftsfördernde Effekte ausgelöst habe. Dies müsse man auch bei heutigen Vorhaben berücksichtigen.

Durch die Beschäftigung in den genannten Projekten würden die Menschen auch keineswegs künstlich dem Arbeitsmarkt ferngehalten, denn es sei gerade wünschenswert und gewollt, Personen aus dieser Beschäftigung heraus in Arbeitsverhältnisse auf dem regulären Arbeitsmarkt zu überführen. Falsch sei auch die Auffassung, es werde für einen Stundenlohn von einem oder zwei Euro gearbeitet. Diese Einkünfte seien lediglich eine zusätzliche Mehraufwandsentschädigung und ein Anreiz, die eigentliche Vergütung bestehe aus den Leistungen nach dem SGB II. Beides zusammen ergebe einen nicht unbeträchtlichen Stundenlohn, der teilweise noch über denen in Niedriglohnsektoren liege.

Was letztlich als zusätzliche Arbeit definiert werden kann, müsse jeweils aktuell mit der Wirtschaft und mit den Gewerkschaften diskutiert werden. In der Vergangenheit hätten Arbeitgebervertreter und Gewerkschaften leider vielfach die Auffassung vertreten, dass die geschaffenen zusätzlichen Arbeiten wirtschaftsfeindlich und beschäftigungsschädlich seien, indem das Entstehen regulärer Arbeitsplätze verhindert werde. Jüngstes Beispiel sei die Beseitigung der Zwischenräume im Straßenpflaster vor dem Landgericht. Erforderlich sei ein vertrauensvoller Umgang miteinander und gegenseitiges Verständnis für jene Maßnahmen, die auf anderem Wege nicht realisiert würden. Aus seiner Auffassung werde es auf lange Sicht nicht ohne einen öffentlich subventionierten dritten Arbeitsmarkt gehen. Wie man dieses Thema im einzelnen angehe, müsse natürlich noch diskutiert werden, man sollte aber alle zum Dialog einladen, die bei der Bewältigung und Gestaltung dieser Aufgabe helfen könnten. Es sei zudem ein Trugschluss, dass es sich bei den gemeinnützigen und zusätzlichen Tätigkeiten ausschließlich um unqualifizierte Arbeiten handle. Er nenne als Beispiel einen diplomierten Musikwissenschaftler, der im Rahmen einer solchen Tätigkeit den historischen Musikalienkatalog der Ratsbücherei aufgearbeitet habe.

 

Beigeordneter DÖRBAUM erklärt für seine Fraktion den Verzicht auf eine Abstimmung, da insbesondere durch den Beitrag von Herrn Koch doch deutlich geworden sei, dass die entsprechenden Maßnahmen bereits angelaufen seien. Zum Stichwort „Job Sozial“ sei anzumerken, dass dort die Unterstützung, die man mit dem Antrag habe anschieben wollen, im einzelnen nicht geleistet werden könne. Wesentliches Ziel sei es, den Menschen wieder länger als nur für sechs bis neun Monate Arbeit zu geben, nämlich dauerhaft und mit dem Ziel der Wiedereingliederung in den eigentlichen Arbeitsprozess.

 

Beigeordneter LÖB beanstandet den Verzicht auf eine Abstimmung und damit auf eine Überweisung, er halte es für gut und wichtig, dieses Thema im Sozialausschuss ausführlich zu behandeln.

 

Oberbürgermeister MÄDGE verweist darauf, dass das Thema in fast jeder der letzten Sozialausschusssitzungen behandelt worden sei und die Verwaltung natürlich auch künftig dort über die Umsetzung berichten und vortragen werde.

 

Ratsherr RIECHEY unterstreicht, dass man sozialversicherungspflichtige Jobs schaffen müsse, wenn man es mit der Hilfe wirklich ernst meine. Nur solche würden den Menschen eine wirkliche Alternative bieten. Er trage die inhaltliche Richtung, für ältere Menschen Alternativen zu schaffen, zwar grundsätzlich mit, halte aber die Ein- und Zwei-Euro-Jobs nicht für geeignet, weil man damit keine Rentenbezüge aufbauen und keine Existenz sichern könne. Daher könne seine Fraktion den Antrag in dieser Form nicht unterstützen.

 

Beigeordnete BAUMGARTEN macht deutlich, dass man im Zeitraum zwischen Antragstellung im Mai und der heutigen Behandlung im Rat erkannt habe, dass sich der Antrag inhaltlich überholt habe. Daher werde der Antrag nun auch zurückgezogen. Selbstverständlich werde man das Thema im Sozialausschuss auch weiterhin behandeln und sich auch von der ARGE berichten lassen, wie die Maßnahmen laufen. Im übrigen verstehe sie die Argumentation der Fraktion DIE LINKE nicht. Viele Personen fragten nicht danach, wie viel Geld sie bekämen, sondern äußerten vor allem den Wunsch, überhaupt durch eine Arbeit wieder an der Gesellschaft teilzuhaben und einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Dies könne eine Kommune nicht auf dem zweiten Arbeitsmarkt durchführen. Viele Bürgerinnen und Bürger seien zudem dankbar, wenn zusätzliche Aufgaben wahrgenommen würden, die mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten nicht ausgeführt werden könnten, weil es nicht finanzierbar sei.

 

Beigeordnete SCHELLMANN hebt hervor, dass die Stadt andere Möglichkeiten der Beschäftigung finden müsse, da sie keinen eigenen Arbeitsmarkt herstellen könne. Es gelte, die Menschen für den ersten Arbeitsmarkt wieder fit zu machen und ihnen eine zusätzliche Chance zu geben, in einer regulären Beschäftigung wieder Fuß zu fassen.

 

Ratsherr MEIHSIES rügt, dass sich der Rat inzwischen über zwanzig Minuten mit einem Antrag befasse, der nun nicht mehr existent sein solle. Die Entscheidung über die Rücknahme eines Antrages gebe man gewöhnlich bei der Feststellung der Tagesordnung bekannt. Es seien nun durch Verschulden der Gruppe SPD/CDU zwanzig Minuten vergeudet worden, er beantrage, die Beratung über Anträge um diese Zeit zu verlängern.

 

Oberbürgermeister MÄDGE entgegnet, dass die Diskussion keine vergeudete Zeit sei. Dieses wichtige Thema gehe alle an und es sei wert, nicht nur in der großen Politik, sondern auch auf kommunaler Ebene darüber zu streiten und zu diskutieren. Es gehe um die Würde des Menschen, die sich über Beschäftigung definiere, jede Fraktion habe sich hierzu auch geäußert. Er bitte darum, im Interesse der Sache und angesichts der Bedeutung des Themas, nun  nicht in Formalien zu verfallen und darüber zu beraten, ob man über die Abstimmung abstimmen wolle.

 

Ratsherr MEIHSIES erklärt, dass er durch die Aussage zur vergeudeten Zeit keineswegs die Wichtigkeit des Themas habe diskreditieren wollen, etwaige derartige Unterstellungen weise er zurück.