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Auszug - Lüneburger Resolution zur Abschaffung des Gutscheinsystems (Gemeinsamer Antrag der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 04.04.2007)  

 
 
Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Rates der Stadt Lüneburg
TOP: Ö 7.3
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: abgelehnt
Datum: Do, 28.06.2007    
Zeit: 17:00 - 20:00 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/2331/07 Lüneburger Resolution zur Abschaffung des Gutscheinsystems (Gemeinsamer Antrag der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 04.04.2007)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Beteiligt:Fachbereich 5-1 - Soziales und Integration
Bearbeiter/-in: Gieseking, Stefan   
 
Wortprotokoll
Beschluss

Beratungsinhalt:

 

Beratungsinhalt:

 

Erster Stadtrat KOCH führt aus, dass ähnliche Anträge in vielen Kommunen gestellt worden seien, woraufhin das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport im Mai in einem Schreiben darauf hingewiesen habe, wie das Asylbewerberleistungsgesetz umzusetzen sei. In diesem Rundschreiben sei nochmals ausdrücklich der Vorrang des Sachleistungsprinzips betont worden. Andere Leistungen als Wertgutscheine seien zulässig, jedoch keine Geldleistungen. Das Rundschreiben bekräftige die vorliegende Stellungnahme der Verwaltung.

 

Ratsherr RIECHEY drückt seine Hoffnung aus, dass man es auch in diesem Fall schaffe, eine gemeinsame Resolution zu verabschieden. Da dies im Rahmen einer Ratssitzung schwierig sei, habe man die Überweisung in den Sozial- und Gesundheitsausschuss vorgeschlagen. Die Verwaltung argumentiere mit Zwängen und Vorgaben seitens des Ministeriums, dennoch könne man sich mit einem Appell für eine Sache einsetzen, darum gehe es primär im vorliegenden Antrag. Es sei gängige Praxis, dass Asylbewerber Leistungen zum überwiegenden Teil in Form von Gutscheinen erhielten, die auf ganz bestimmte Waren beschränkt seien. Die Zuordnung einzelner Produkte zu diesen Waren sei oft Auslegungssache, wobei die Kunden auf die Gutmütigkeit der Verkäufer angewiesen seien. Dies könne schon mal zu entwürdigenden Situationen an der Kasse führen. Viele andere Dinge des täglichen Lebens wie Telefongebühren und Fahrtkosten müssten aus dem Taschengeld von etwa vierzig Euro monatlich bestritten werden. Mit der Gutscheinregelung entstünden der Stadt Kosten für den Druck der Gutscheine und für den Verwaltungsaufwand bei der Abrechnung mit den Händlern. Insgesamt sei es eine untragbare Situation. Es habe sich bereits ein Schwarzmarkthandel entwickelt, indem einige Händler Gutscheine zu einem geringeren Preis als dem Nennwert aufkauften und damit aus der persönlichen Not der Menschen Profit machten. Es gebe eine Umtauschinitiative, die die Gutscheine zu gleichem Wert in Bargeld umtausche, diese arbeite aber in einer Grauzone, da die Gutscheine formal nicht übertragbar seien. Andere Städte in Niedersachsen, die den gleichen Gesetzen unterlägen, hätten eine solche Resolution mit großem appellativen Charakter im Rat verabschiedet.

 

Ratsfrau GÜNTNER zeigt sich verwundert über den Antrag, da es nicht Aufgabe der Politik sei, die Gesetzmäßigkeit des Handelns der Verwaltung und die Auslegung von Bundesgesetzen zu überprüfen. Der Bundesgesetzgeber habe seinen Willen zur Gewährung von Sachleistungen durch das Asylbewerberleistungsgesetz klar zum Ausdruck gebracht. Der höhere Verwaltungsaufwand sei dabei ganz bewusst in Kauf genommen worden um zu verhindern, dass ausschließlich wirtschaftliche Aspekte bei der Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, eine Rolle spielten. Eine Änderung sei vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt, wie das Bundeskabinett im März mit einem Gesetzesentwurf im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes gezeigt habe. Das Niedersächsische Innenministerium habe durch Rundschreiben ausdrücklich auf die Sachleistungsgewährung als vorrangigem Leistungsprinzip hingewiesen. Der Rat der Stadt Lüneburg sei nicht die richtige Bühne für populistische Schauspiele, da man die Änderung von Bundesgesetzen nicht beschließen könne. Wenn die Antragsteller den juristischen Stellenwert von Erlassen des Niedersächsischen Innenministeriums prüfen wollten, werde man ihnen dabei nicht folgen. Wo bleibe die Menschenwürde der Asylbewerber, wenn Schlepperorganisationen sie unter Druck setzten und ihnen das Geld abnehmen, welches sie eigentlich zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes benötigten. Wer nicht wisse, wie er seine Familie satt bekomme, könne kein menschenwürdiges Leben führen. Das Gutscheinsystem habe sich in Lüneburg bewährt, die Geschäfte seien seit Jahren mit der Einlösung der Wertgutscheine vertraut und nähmen diese problemlos entgegen. Da die Gutscheine nicht empfängerbezogen seien, sei keine besondere Vertretungsregelung erforderlich. Die von Herrn Riechey beschriebenen Probleme seien ihrer Fraktion für den Bereich der Stadt Lüneburg nicht bekannt, daher sehe man auch keinen Grund für eine Änderung.

 

Ratsfrau RUDOLPH erläutert, dass es in Lüneburg in allen Geschäften möglich sei, die Wertgutscheine einzulösen, nicht nur in einigen ausgewählten. Nach eigener Erfahrung und nach Gesprächen mit Betroffenen habe sie eine offene Anfeindung von Asylbewerbern, wie in der Resolution dargestellt, nicht wahrnehmen können. In Lüneburg habe sich das Gutscheinsystem im Laufe der Jahre als völlig normale Bezahlmöglichkeit eingespielt. Neben den Wertgutscheinen erhielten die Asylbewerber Bargeld, in der Resolution sei ausgeführt, dass der sonstige Lebensbedarf davon nicht gedeckt werden könne. Man dürfe aber nicht übersehen, dass es daneben noch eine Vielzahl von Sachleistungen gebe. Ferner gebe es kostenlose Rechtsberatung, wie überhaupt das gesamte Asylverfahren kostenfrei sei. Es sei bekannt, dass bei Bargeldauszahlung eben nicht nur der Lebensunterhalt bestritten werde, sondern das Geld vielfach zweckfremd verwendet werde. Das Asylbewerberleistungsgesetz könne nach einer Anfrage der Uni Konstanz beim Innenministerium grundsätzlich als ausreichend angesehen werden, um Lebensunterhalt und Gesundheit zu gewährleisten. Es bestehe daher keine Notwendigkeit, am Sachleistungsprinzip zu rütteln.

 

Ratsfrau MAHLKE-VOß macht deutlich, dass man die Aufgabe habe, den Lebensunterhalt jener Menschen zu sichern, die nicht arbeiten können oder dürfen. Der Gesetzgeber sehe für die Bedarfsdeckung unbare Leistungen vor, da dies nicht immer möglich gewesen sei, wurden die Wertgutscheine in Lüneburg entsprechend erweitert. Die Behauptung sei nachweislich falsch, es solle keine Probleme beim Einlösen der Gutscheine geben, wenn das gekauft werde, was auf den Gutscheinen stehe. Zahlreiche Geschäfte gingen mit den recht schwammigen Artikelbeschreibungen willkürlich um, in einigen Fällen werde die Annahme der Wertgutscheine gar verweigert. Daher werde ein Einkauf mit Gutscheinen von den Betroffenen häufig als Diskriminierung und Bevormundung empfunden. Sie fordere alle, die für Wertgutscheine seien, auf, sich selbst einmal mit Wertgutscheinen an eine Kasse zu stellen um zu erfahren, wovon die Rede sei. Falsch sei auch die Behauptung, dass durch eine Bargeldausgabe neue Notlagen geschaffen werden könnten, da bei Geldleistungen nicht die prekäre Lage entstehe, das Wechselgeld einbehalten oder Gutscheine unter ihrem Nennwert aufgekauft würden. Die Verwaltung kaschiere mit dieser unlauteren Argumentation die Rechtslage. Bereits in der frühen Zeit des Asylbewerberleistungsgesetzes habe sich gezeigt, dass Wertgutscheine diverse Nachteile mit sich brächten, worauf der Gesetzgeber schon 1997 reagiert habe. Seither bedürfe es keiner besonderen Umstände mehr, um Geldleistungen zahlen zu dürfen. In den Kommentaren der Fachjuristen würden Sachleistungen, Wertgutscheine und Geldleistungen als gleichwertig angesehen. Bei der Betrachtung der höherrangigen Grundrechte müssten die Geldleistungen als vorrangig angesehen werden, da durch die Gewährung von Gutscheinen dem Recht auf ein soziokulturelles Existenzminimum nur sehr begrenzt Rechnung getragen werde. Auch die Grundrechte auf Wahrung der Menschenwürde, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, der Informations- und Religionsfreiheit sowie der Gleichheitsgrundsatz seien zu berücksichtigen. Letztlich sei mittelbar auch der Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes betroffen, da der vorhandene Beratungsschein zwar formellen Rechtsschutz garantiere, um diesen jedoch auch umzusetzen seien Asylbewerber auf die Vertretung durch im Regelfall selbst zu bezahlende Rechtsanwälte angewiesen. Auch fielen Kosten etwa für die Übersetzung fremdsprachlicher Urkunden an. Daneben gebe es auch pragmatische Gründe für die Abschaffung der Wertgutscheine, da das System für die betroffenen Behörden erhebliche Mehrkosten durch den hohen Verwaltungsaufwand bedeute. Aus diesem Grund habe man das Gutscheinsystem bei der Stadt Münster abgeschafft. Die Entscheidung über die Form der Leistungsgewährung obliege nach einem neuen Schreiben des Niedersächsischen Innenministeriums an die Stadt Göttingen den kommunalen Behörden. In vielen Bundesländern werde die Bargeldauszahlung bereits flächendeckend praktiziert. Da es noch viele Fragen zu klären gebe, befürworte sie die Überweisung in den Sozial- und Gesundheitsausschuss.

 

Beigeordnete SCHELLMANN erklärt, man müsse immer ganz besonders vorsichtig sein, wenn die Menschenwürde ins Spiel gebracht werde und deren Gefährdung genau prüfen. Sie erinnere daran, dass es auch in Lüneburg große Schwierigkeiten gegeben habe, das Geld dort ankommen zu lassen, wohin es sollte. Nicht selten mussten Frauen betteln gehen, da deren Männer das Geld behalten und vertrunken hätten. Oftmals mussten Betroffene sich auch unter Drohungen verpflichten, ihr Geld Schlepperbanden zu geben. Dies sei tägliche Praxis und die Erfahrung der Verwaltung Ende der achtziger Jahre gewesen. Sie bevorzuge ansonsten auch praktische Lösungen ohne teuren Verwaltungsaufwand, dies sei aber nicht immer die richtige Lösung. Sie habe in Gesprächen mit Verkäufern und mit Asylbewerbern erfahren, dass es die angeführten Probleme anfänglich gegeben habe, mit zunehmender Erfahrung der Beteiligten seien sie aber zurückgegangen. Man dürfe nicht eine Situation herbeiführen, die die Existenzsicherung - die als vorrangige Aufgabe anzusehen sei - gefährde. Die jetzige Praxis sei zugegebenermaßen nicht immer der bequemste Weg, es werde dadurch aber sichergestellt, dass die Familien auch zu dem kämen, was sie brauchten. Wenn dabei einzelne Fälle von Diskriminierung aufträten, müsse man diesen natürlich nachgehen.

 

Oberbürgermeister MÄDGE bemerkt, dass die Verwaltung gescholten und unlauten Verhaltens bezichtigt werde, weil sie sich an geltende Gesetze halte. Es könne doch niemand abstreiten, dass das Schlepperproblem vorhanden sei. Dem müsse man entgegentreten, da im Grundgesetz auch stehe, dass Ehe, Familie und Kinder dem besondern Schutz des Staates unterstünden. Es könne nicht sein, dass man diejenigen nicht schütze, die durch Schlepper abkassiert würden. Es dürften auch nicht Asylbewerber und Empfänger von ALGII-Leistungen, die Wertgutscheine erhielten, in einen Topf geworfen werden. Man müsse sehen, dass etliche Leistungsempfänger mit ihrem Geld nicht umgehen könnten und man die Kinder solcher Familien davor schützen müsse, dass die Eltern das Geld auf zweckfremde Art und Weise verbrauchten. Es müsse durch die Verwaltung sichergestellt werden, dass die Kinder auch tatsächlich mit Nahrungsmitteln versorgt werden um solche Fälle der Vernachlässigung zu verhindern, wie sie zuletzt in Bremen geschehen seien. Es könne nicht angehen, dass die Verwaltung von Mitgliedern des Rates mit der Forderung nach Umstellung auf Geldleistungen zum Rechtsbruch aufgefordert werde.

Beschluss:

Beschluss:

 

Der Rat der Stadt Lüneburg lehnt die Resolution zur Abschaffung des Gutscheinsystems mehrheitlich mit den Stimmen der Gruppe SPD/CDU und der FDP-Fraktion bei 8 Ja-Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE sowie 1 Enthaltung ab.

 

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