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Auszug - Erklärung des Rates der Stadt Lüneburg zur Ehrenbürgerschaft des ehemaligen Gauleiters Otto Telschow (Antrag der Gruppe SPD/CDU vom 07.02.2007)  

 
 
Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Rates der Stadt Lüneburg
TOP: Ö 7.3
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: ungeändert beschlossen
Datum: Do, 19.04.2007    
Zeit: 17:00 - 20:00 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/2257/07 Erklärung des Rates der Stadt Lüneburg zur Ehrenbürgerschaft des ehemaligen Gauleiters Otto Telschow (Antrag der Gruppe SPD/CDU vom 07.02.2007)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Antrag der Gruppe SPD/CDU
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Bearbeiter/-in: Gieseking, Stefan
 
Wortprotokoll
Beschluss

Beratungsinhalt:

 

Beratungsinhalt:

 

Ratsherr NEUBAUER macht deutlich, dass der Gauleiter Otto Telschow und die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an ihn Teil der Geschichte seien, ebenso wie der Nationalsozialismus. Es zeige sich immer wieder, dass der Umgang mit der NS-Zeit in Deutschland sehr sensibel vonstatten zu gehen habe. Die vorgeschlagene Erklärung zeichne sich genau durch diese Sensibilität aus und belege das Engagement für Menschenwürde und für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Dem Ergänzungsantrag hingegen fehle mitunter gerade diese notwendige Sensibilität. Die Forderung nach einer Ausstellung lehne seine Fraktion grundsätzlich ab. Nicht aufgrund der Wortwahl, die Bezeichnung „zum Wirken des Gauleiters Telschow“ sei viel zu positiv, sondern aufgrund der Tatsache, dass man keine Pilgerstätte für ewig gestrige und für Neonazis in Lüneburg wolle. Er hätte sich gewünscht, dass die Grünen auf ihren Fraktionsvorsitzenden gehört hätten, der in der Landeszeitung völlig zu recht erklärt habe, dass eine zu intensive Beschäftigung mit der Materie eine Nazigröße nur unnötig aufwerte. Weiterhin sei die Forderung nach einer aktiven Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus wenig sensibel, da sie unterstelle, dass hier in Lüneburg bisher deutliche Defizite zu erkennen seien. Dies sei eindeutig nicht der Fall, vielmehr gebe es in Lüneburg eine außerordentlich zu lobende Geschichtswerkstatt, man habe jahrelang gestritten für ein Mahnmal in der Lindenstraße und vieles mehr. Lüneburg müsse sich nicht verstecken vor der eigenen Vergangenheit. Der Antrag auf Überprüfung aller Ratsbeschlüsse aus der NS-Zeit sei abzulehnen, nicht jedoch, weil es kein wichtiges Thema sei, sondern vor allem aus Zeitgründen. Er vermöge sich nicht vorzustellen, sich in den Ratssitzungen mit allen Ratsbeschlüssen auseinander zu setzen. Es biete sich jedoch als sinnvolles Thema für die Zusammenarbeit zwischen Stadt, Landkreis und Universität an, indem die Universität dies in einem konkreten Projekt aufarbeite.

 

Bürgermeister DR. SCHARF erinnert daran, dass das Thema Otto Telschow bereits durch den früheren Chefredakteur Helmut C. Pleß in seinem Buch „Lüneburg `45“ weitgehend aufgearbeitet worden sei, die Person und das Wirken seien darin ausführlich dargestellt. Er zitiere aus dem Rheinischen Merkur, wonach jeder ein kommunikatives Wagnis eingehe, der sich mit der Autorität eines öffentlichen Amtes in Deutschland zu Vorgängen und Personen der NS-Vergangenheit äußere. Er wolle der Legendenbildung vorbeugen, indem er einige Fakten aus dem Buch „Lüneburg `45“ zusammengetragen habe. Otto Telschow sei 1932 Gauleiter geworden, habe aber letztlich eine untergeordnete Rolle gespielt. Graue Eminenz sei in Lüneburg ein Sonderbeauftragter namens Hoffmann gewesen, der großen Einfluss insbesondere auf die Justiz genommen habe. Telschow sei eher als mittelmäßige und beschränkte Person mit Hang zum Alkohol bekannt gewesen. In der Tat habe er jedoch im April 1945 angeordnet, jedes Haus zu zerstören, das eine weiße Flagge zeige. Dieser Befehl sei zum Glück nicht ausgeführt worden. Zur Rolle des Rates sei anzumerken, dass bei der Reichstagswahl am 5. März 1939 die NSDAP in Lüneburg 8.448 Stimmen bekommen habe, bei der letzten demokratischen Wahl eines Lüneburger Rates am 12. März 1939 hingegen nur noch 6.828 Stimmen. Man dürfe sich die Tätigkeit des Rates in der Zeit von 1933 bis 1945 nicht so vorstellen wie in der heutigen Zeit, da die Räte seinerzeit gleichgeschaltet gewesen seien. Es sei zweifelhaft, ob der Rat noch eigene Entscheidungen getroffen habe, im Regelfall seien Weisungen der damaligen Reichsführung umgesetzt worden. Die Überprüfung der Ratsbeschlüsse dürfte vor diesem Hintergrund wenig ergiebig sein. Einen Eisenbahnwaggon für eine solche Ausstellung zu nutzen habe eine besondere Bedeutung, da ein solcher für viele Menschen mit Ängsten und Nöten in Verbindung stehe. Er könne aus eigener Erfahrung berichten, dass Eisenbahnwaggons für den Abtransport von Flüchtlingen aus ihrer Heimat benutzt worden seien.

 

Ratsherr POLSTER weist darauf hin, dass seine Fraktion den Antrag der Gruppe SPD/CDU positiv aufgenommen habe, da mit dem Antrag auf die derzeit in der Öffentlichkeit geführte Diskussion reagiert werde. Es sei in der Tat in der Stadt bereits viel zur Aufarbeitung der Geschichte getan worden, er würdige die Arbeit der Geschichtswerkstatt und aller, die sich darum bemühten. Man wolle jedoch noch einen Schritt weiter gehen. Das Aufstellen eines Eisenbahnwaggons sei keine neue Idee, sondern eine langjährige Forderung der Geschichtswerkstatt nach einem Raum für verschiedene Ausstellungen. Die Ausstellung zu Telschow solle keinesfalls dazu dienen, ihn zu einer Kultfigur für Rechte zu machen. Es sei immer eine gewisse Gratwanderung, entscheidend sei dabei, wie man eine solche Ausstellung aufmache. Die Ausstellung des Deutschen Salzmuseums sei nun  schon einige Zeit her, sie habe die letzten Kriegsjahre in Lüneburg zum Thema gehabt, möglicherweise könnten Teile davon verwendet werden für eine angemessene neue Ausstellung. Zur Überprüfung der Ratsbeschlüsse sei anzumerken, dass es natürlich nicht gewollt sei, alle damaligen Ratsbeschlüsse erneut im Rat zu diskutieren. Der Vorschlag sei gut, die Überprüfung einer Studentengruppe zu übertragen, die prüfen könne, welche Beschlüsse gefasst worden und wie diese zustande gekommen seien. Es gebe aus dieser Zeit sicherlich Beschlüsse, die man heute nicht mehr mittragen könne, sich diese bewusst zu machen sei aber nur möglich, wenn man wisse, welche Beschlüsse gefasst worden seien.

 

Beigeordnete SCHELLMANN berichtet, dass ihre Fraktion sich die Frage gestellt habe, was der Rat der Stadt Lüneburg objektiv tun könne, um sich von dem zweifellos minderen Charakter Otto Telschows posthum zu distanzieren. Dass Telschow die Ehrenbürgerschaft nicht verdient hatte, sei unstrittig und dieser Umstand müsse Lüneburg damals wie heute zutiefst peinlich sein. Man könne dieses Thema rein juristisch oder rein emotional angehen. Was geschehen sei, könne nicht durch nachträgliche Beschlüsse ungeschehen gemacht werden. Aus der Aberkennung der Ehrenbürgerschaft könnten leider keine sachlichen Konsequenzen mehr folgen. Mit dem Tode Telschows sei die Ehrenbürgerschaft erloschen, rein juristisch sei da nichts mehr zu machen. Diese rationale Sicht trage aber den emotionalen Aspekten nicht ausreichend Rechnung. Als Rat müsse man Stellung beziehen, obwohl man dieses in der Vergangenheit bereits ausführlich getan habe. Für sehr wichtig halte sie, dass durch den heutigen Beschluss dem Gauleiter Telschow nicht ungewollt Ehre verschafft werde, indem man sich schon wieder intensiv mit ihm beschäftige. Genau das habe er nicht verdient. Die Verachtung, die solche Figuren verdient hätten, müsse man auch dadurch zum Ausdruck bringen können, dass man sie nach vollständiger Aufarbeitung nicht mehr beachten müsste.

 

Ratsherr KUNATH unterstützt den Antrag, seine Fraktion würde sich aber zusätzlich eine generelle Aufarbeitung der NS-Zeit in Lüneburg unter Einbeziehung der verfolgten Gruppen wünschen. Das Geld für die beantragte Ausstellung könne man jedoch besser in die Arbeit der Geschichtswerkstatt stecken, die sich mit dieser Zeit befasse.

 

Erster Stadtrat KOCH möchte auf das Stichwort „generelle Aufarbeitung“ eingehen. Es sei richtig, dass die Aufarbeitung der dunklen Seiten der Geschichte eine dauerhafte und ständig wiederkehrende Aufgabe sei. Er sei der Auffassung, dass die Kultureinrichtungen in Lüneburg ebenso wie Stadtrat und Verwaltung dieser Aufgabe seit langer Zeit nachkämen. Dies beginne bei den entsprechenden Publikationen und führe zu den großen Ausstellungen zum fünfzigjährigen und zum sechzigjährigen Kriegsende, in denen mit großer Sorgfalt und Genauigkeit diese Periode aufgearbeitet worden sei. Die Ausstellung im Deutschen Salzmuseum habe auch die Person Otto Telschow zum Inhalt gehabt. Die Aufarbeitung geschehe bereits und werde auch weiterhin geschehen. Bereits seit vielen Jahren habe die Stadt Lüneburg den 27. Januar, den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, durch eigene Veranstaltungen und in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen mitgestaltet. Selbst in den Räumlichkeiten des Rathauses habe man in Ausstellungen an das Schicksal vieler Verfolgter, so jüdischer Familien sowie Sinti und Roma und weiterer Personengruppen, erinnert. Dies sei eine solche Selbstverständlichkeit, dass man es nicht noch gesondert beschließen müsse.

Beschluss:

Beschluss:

 

Der Rat der Stadt Lüneburg gibt einstimmig die im Antrag vorgeschlagene Erklärung ab.

 

(01; V)