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Frau Bauer erläutert, dass diese außerordentliche Sitzung des Jugendhilfeausschusses einberufen wurde, um die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses über die umfangreichen Neuerungen durch das Kinder- und Jugendstärkegesetz (KJSG) zu informieren. Das KJSG ist bereits am 09. Juni 2021 in Kraft getreten. Eine frühzeitigere Information im Jugendhilfeausschuss konnte nicht erfolgen. Gründe hierfür waren die Neuaufstellung und Neufindung des Rates der Hansestadt Lüneburg sowie die Personalvakanzen im Bereich der Verwaltung der Hansestadt Lüneburg. Die erforderlichen Abstimmungen haben sich hierdurch verzögert. Frau Oberbürgermeisterin Kalisch begrüßt im Rahmen dieses Tagesordnungspunktes alle Anwesenden und alle Ausschussmitglieder, die über die Videokonferenz zugeschaltet sind und betont, wie wichtig es ist, dass die Beschlussfähigkeit des Jugendhilfeausschusses in der heutigen Sitzung gegeben ist. Herr Treybig stellt anhand einer PowerPointPräsentation, die als Anlage zu TOP 5 dem Protokoll beigefügt ist, das neue Kinder- und Jugendstärkegesetz (KJSG) vor, um gemeinsam mit den Vertreter:innen des Jugendhilfeausschusses die Kinder- und Jugendhilfe in der Hansestadt weiter zu entwickeln. Zum Einstieg stellt er auf Folie 2 zunächst das Ziel und die Struktur des KJSG dar: Vorstellung von der Breite und Tiefe der gesetzlichen Änderungen, Benennung der fünf Schwerpunkte der Reform sowie Vorstellung der geplanten Umsetzung in einem Zeitraum von sieben Jahren in drei Stufen. Folie 3: Ausgehend von der Verabschiedung eines ersten einheitlichen Gesetzes für Kinder und Jugendliche in der Weimarer Republik im Jahre 1922 – dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) – kann nun auf 100 Jahre eigenständiges Kinder- und Jugendhilferecht zurückgeblickt werden. Hier wurden erstmals für alle jungen Menschen soziale Rechtsansprüche (damals nannte man das noch Fürsorge) festgeschrieben. In der damaligen Sozialgesetzgebung war das ein Meilenstein. Auch das Gerüst der zweigliedrigen Leitung der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe - bestehend aus dem Jugendamt und dem Jugendhilfeausschuss - stammt aus dieser Zeit. Den Gesetzgebern war auch 1922 bereits klar, dass es bei der „Jugendwohlfahrt“ nicht nur um Fürsorge gehen würde, sondern dass es sich auch um anspruchsvolle pädagogische Konzepte handeln würde. Die zentrale Aufgabe des Jugendhilfeausschusses - sich kommunal als Interessensvertretung für die jungen Menschen und ihrer Familien einzusetzen - blickt also auf eine lange Tradition zurück. Aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungen und fachpolitischen Erkenntnissen war es der politische Auftrag, dass Kinder- und Jugendhilfegesetz auf Basis des in der vorletzten Legislaturperiode beschlossenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) weiterzuentwickeln. Folie 4: Ziel sollte ein wirksames Hilfesystem sein, welches die Familie stärkt und Kinder vor Gefährdungen schützt. Die Unterstützung und Stärkung der elterlichen Erziehungsverantwortung bleiben Anspruch und zentraler Auftrag der Jugendhilfe, die Förderung des Kindeswohls bleibt die Richtschnur. Im ersten Absatz wird das für die Kinder- und Jugendhilfe formulierte programmatische Leitbild um den Aspekt der Selbstbestimmung erweitert. Diese Hervorhebung der Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen durch die Einführung des Begriffs „selbstbestimmt“ hebt damit das grundrechtlich geschützte Recht auf Entwicklung zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit hervor. Im ersten Absatz hieß es vorher: Förderung der Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Der Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe wird um den Aspekt der Ermöglichung und Erleichterung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ergänzt. Folie 5: Beim KJSG handelt es sich um die umfassendste Reform der letzten dreißig Jahre, weil gesetzliche Änderungen in allen Bereichen des SGB VIII – den Rahmenbedingungen und Leitlinien, den objektiven Rechtsverpflichtungen, den individuellen Rechtsansprüchen und den Verfahren -, also den institutionellen Grundlagen beschlossen wurden. Fachliche Forderungen an eine modernisierte Kinder- und Jugendhilfe (auch noch aus dem vorherigen nicht abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren) waren: - Die engere Kooperation aller relevanten Akteure sollte einen stärkeren Stellenwert bekommen. - Im Interesse von fremduntergebrachten Kindern sollte die Elternarbeit und die Qualifizierung und Unterstützung von Pflegekindern gestärkt und gefördert werden. - Die präventiven sozialräumlichen Angebote sollten gestärkt werden.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass mit der Modernisierung des Gesetzes die Fachdiskussionen zur SGB VIII – Reform in den Grundzügen aufgenommen und in Regelungen umgesetzt wurden.
Folie 6: Im Vorfeld dieser Gesetzesinitiative wurde ein breiter Dialog mit Akteuren aus der Wissenschaft und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Behindertenhilfe und den Ländern und Kommunen geführt. Hierzu hatte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den Dialogprozess „Mitreden – Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe“ geführt. Im Zentrum des über den Zeitraum von einem Jahr geführten Beteiligungsprozesses stand eine AG aus 70 Expert:innen, welche fachliche Empfehlungen aussprachen. Im Vergleich zu den Reaktionen auf die vorherigen „Modernisierungsversuche“ des SGB VIII ist festzustellen, dass dieser breite Beteiligungsprozess zu einer hohen fachlichen Akzeptanz der beschlossenen Änderungen geführt hat. Mit der Ausrichtung am Gedanken einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe setzt das modernisierte Gesetz fachpolitische Impulse, die in den nächsten Jahren die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, aber auch die freien Träger vor erhebliche fachliche aber auch organisatorische Anforderungen stellen werden. Insbesondere auch die Verankerung umfassender Beteiligungsoptionen für die Adressaten:innen und damit die rechtliche Würdigung der Subjektstellung führen zu einer Steigerung der Komplexanforderungen an die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe. Auch die Jugendhilfeplanung wird erhebliche Aufgabenzuwächse bekommen.
Folie 7: Besserer Kinder- und Jugendschutz:
Die §§ 45, 46, 47 wurden neu geregelt: - Zuverlässigkeit als Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis, dies macht sich z.B. daran fest, ob die Meldepflichten über Kindeswohlgefährdung, Personalmeldungen wegen Fachkräftegebot, Arbeitszeitverstöße etc. eingehalten werden. - Kinder- und Jugendliche in Auslandsmaßnahmen sollen besser geschützt werden: Vorliegen einer Betriebserlaubnis für den Träger im Inland, Gewähr der Anzeige von potentiell wichtigen Ereignissen. - Zusammenarbeit mit der Gesundheitshilfe: verpflichtender Einbezug von Berufsgeheimnisträger:innen in die Gefährdungseinschätzung nach einer Meldung, Rückmelderegelung an meldende Berufsgeheimnisträger:innen mit dem Zweck der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Gesundheitswesen, finanzielle Vereinbarungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen über eine Vergütung zwischen dem Jugendamt und Vertragsärztinnen/-ärzten. - Bessere Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Justiz: verpflichtende Vorlage von Hilfeplänen durch das Jugendamt bei Kindeswohlgefährdung, der Hilfeplan dienst als Instrument qualifizierter Aussagen über die Lebens- und Erziehungssituation von jungen Menschen – der Datenschutz ist zwingend einzuhalten (vorher war Vorlage sogar auf Antrag bei Kindschaftssachen im Entwurf). Das Ziel ist die fundierte familiengerichtliche Entscheidung. Das KJSG sieht die Vorlage eines Auszugs aus dem Hilfeplan mit dem Ergebnis der Bedarfsfeststellung, Art der Hilfegewährung sowie Ergebnis deren Überprüfung vor.
Folie 8: Stärkung von Kindern und Jugendlichen in Pflegfamilien und Einrichtungen: - Bessere Startchancen für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen und für Pflegekinder; Motivation zur Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses – Reduzierung der Kostenbeteiligung auf 25%, vorher: 75%. Beispiel: Neue Regelung: Ein Jugendlicher erhält als Fachangestellter für Markt- und Sozialforschung eine Ausbildungsvergütung im 1. Jahr in Höhe von 730 EURO abzüglich eines Freibetrages von 150 EURO = 580 EURO abzüglich 25% Kostenbeteiligung in Höhe von 145 EURO. Ergibt einen Betrag in Höhe von 435 EURO, der dem Jugendlichen monatlich verbleiben. Vorherige Regelung: Ein Jugendlicher erhält als Fachangestellter für Markt- und Sozialforschung eine Ausbildungsvergütung im 1. Jahr in Höhe von 730 EURO abzüglich eines Freibetrages von 150 EURO = 580 EURO abzüglich 75% Kostenbeteiligung in Höhe von 435 EURO. Ergibt einen Betrag in Höhe von 145 EURO, der dem Jugendlichen monatlich verblieben ist. - Verbesserungen für Jugendliche, die in öffentlicher Erziehung aufgewachsen sind: Höhere Verbindlichkeit der Hilfen für junge Volljährige – Hilfen sollen erbracht werden Regelungen der Kooperation der Sozialleistungsträger beim Zuständigkeitsübergang (materiell-existenzielle Grundabsicherung durch verbindliche Übergangsplanungen). - Berücksichtigung von Geschwisterbeziehungen: Prüfung gemeinsamer Unterbringung und/oder Aufrechterhaltung des Kontakts, Schutz der Bindungen von Pflegekindern. - Möglichkeit des Dauerverbleibens – die Anordnung ist geregelt. Voraussetzungen: 1. Verbesserungen in der Herkunftsfamilie wurden innerhalb eines für das Kind vertretbaren Zeitraums nicht erreicht und sind auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreichbar und 2. Erforderlichkeit zum Wohl des Kindes ist gegeben. - Qualitätsentwicklung und –sicherung der Begleitung der Pflegefamilie durch Anknüpfung der Finanzierung unter anderem an Qualitätsvereinbarungen. - Die Zusammenarbeit von Eltern und Pflegeeltern soll verbindlicher unterstützt werden.
Folie 9: Inklusive Jugendhilfe: Geplant ist ein Ausbau der inklusiven Gestaltung der Kinder- und Jugendhilfe und der einheitlichen sachlichen Zuständigkeit für junge Menschen mit Behinderung in drei Stufen. Der Leitgedanke einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe soll in der ersten Stufe seit Juni 2021 umgesetzt werden, indem bei dem bestehenden Angebot nun explizit Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aufgenommen werden sollen, so dass diese von Beginn an „mitgedacht“ werden. Die Jugendhilfeplanung soll dazu beitragen, dass ein inklusives Angebot und die gemeinsame Förderung von jungen Menschen mit und ohne Behinderung gewährleistet wird. In einem zweiten Schritt soll die Kinder- und Jugendhilfe eine Lotsenfunktion übernehmen. In einem dritten Schritt erfolgt dann die Zusammenführung.
Stufe eins seit Juni 2021: - Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Kindern mit einer Behinderung bei der Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft (z.B. Inobhutnahme). - Sicherstellung der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Angeboten der Jugendarbeit. - Gemeinsame Förderung von Kindern mit und ohne Behinderung – Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen in der Kindertagesbetreuung. - Möglichkeit von Pooling-Angeboten bei der Schulbegleitung. - Fallbezogene Zusammenarbeit im Gesamt- und Hilfeplanverfahren.
Folie 10: Es besteht ein klarer zeitlicher Stufenplan und subjektive und objektive Rechtsverpflichtungen.
Folie 11: Stufe zwei von 2024 bis 2028: Die Kinder- und Jugendhilfe soll beraten, unterstützen, helfen, schützen, betreuen und ab dem 01. Januar 2024 soll sie auch noch lotsen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt betritt ein neuer Akteur der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe die Bühne: der Verfahrenslotse – ansässig beim örtlichen Jugendamt. Der Verfahrenslotse soll bei der Inanspruchnahme von Eingliederungshilfe vermitteln, unterstützen und begleiten. Eltern bekommen einen verbindlichen Ansprechpartner und sollen erheblich entlastet werden, wenn sie für ihre Kinder Unterstützung und Hilfen beantragen. Es gibt noch Unschärfen und widersprüchliche Einschätzungen zur Verortung beim öffentlichen Träger. Diese ist zwar klar geregelt, aber die organisatorische Zuordnung bedarf noch der Klärung. Der Verfahrenslotse bietet unabhängige Unterstützung und Inanspruchnahme von Hilfe, wenn die Hilfesuchenden beim öffentlichen Träger ansässig sind. Er übernimmt auch die Aufgabe, das Jugendamt bei der Zusammenführung der Leistungen zu unterstützen.
Folie 12: Stufe drei ab 2028: Die einheitliche sachliche und vorrangige Zuständigkeit der öffentlichen Jugendhilfe auch für Kinder mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung in der Kinder- und Jugendhilfe. Bedingung: Verkündung eines Bundesgesetzes bis 01. Januar 2027 auf der Grundlage einer prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung („im Einzelnen regelt“) und den Ergebnissen einer wissenschaftlichen Umsetzungsbegleitung.
Herr Treybig erläutert den Stufenplan – also die drei Schritte in sieben Jahren - zur Veranschaulichung anhand der Grafik in Folie 13 und geht auf die Größenordnung ein, wie diese sich in den nächsten Jahren bei Zusammenführung aller Schritte entwickeln wird. 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche haben einen Bedarf an Hilfe zur Erziehung. Es gibt 360.000 Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, davon haben 260.000 Kinder und Jugendliche einen Bedarf an Eingliederungshilfen, 100.000 von seelischer Behinderung bedrohter Kinder und Jugendliche, sind bereits in der Kinder- und Jugendhilfe angegliedert.
Folie 14: Stärkung der Prävention: - Die Kombination unterschiedlicher Hilfearten ist möglich (kein Nacheinander nötig, aber möglich). Dies ist sinnvoll z.B. bei Rückführungskonzepten (ambulant zur Vorbereitung der Rückführung). - Erweiterung der Angebote, die ohne Antragstellung beim Jugendamt in Anspruch genommen werden können (z.B. Schulsozialarbeit). - Auch die Möglichkeit der Pool–Lösung bei der Schulbegleitung trägt diesem Gedanken Rechnung. - Integration der Betreuung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Notsituationen in den Katalog der Hilfen zur Erziehung bei Ausfall eines für die Betreuung verantwortlichen Elternteils, die nicht vom anderen Elternteil oder im familiären Umfeld übernommen werden kann. - Dient in erster Linie dazu, den Bedarfen von Kindern und Jugendlichen psychisch oder suchtkranker Eltern bei vorübergehenden Betreuungs- und Versorgungsengpässen gerecht zu werden, betrifft aktuell ca. 3 - 4 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland. - Die Bewältigung von Notsituationen im Kontext der Hilfen zur Erziehung bedeutet also immer, dass ein erzieherischer Bedarf vorliegt – Erziehungsberatungsstellen übernehmen hier eine Rolle der Beratung. - Stärkung eines niedrigschwelligen, unmittelbaren und sozialraumorientierten Zugangs. - Sicherung der Qualität/Bedarfsgerechtigkeit der unmittelbar zugänglichen Leistungen wird in den Aufgabenkatalog der Jugendhilfeplanung aufgenommen (z.B. Modernisierung der § 16 Angebote).
Folie 15: Mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien: - Ein „notlagenunabhängiger“ Beratungsanspruch junger Menschen ohne Kenntnis der Erziehungsberechtigten. - Die Beratung von jungen Menschen, Eltern, Personensorge- und Erziehungsberechtigten über Bedarfe, Hilfezugänge, sowie Hilfen bei der Antragstellung. - Die Beschwerdemöglichkeiten werden gestärkt, beispielsweise durch die Verpflichtung des überörtlichen Trägers zur Einrichtung einer zentralen Ombuds- oder vergleichbaren Stelle. - Auch Selbstvertretungen und Selbsthilfe sollen gestärkt werden durch Beteiligung in AGs und Schaffung von Selbstvertretungsorganen in Einrichtungen der Jugendhilfe. - Es geht explizit um die Erweiterung der Beteiligung in der Hilfeplanung – es soll eine adressatenorientierte Beratung und Aufklärung von Kindern und Jugendlichen bei der Hilfeplanung erfolgen. - Weiterhin geht es um die Einbeziehung nicht sorgeberechtigter Eltern in die Hilfeplanung und Berücksichtigung der Interessen des Kindes bei der Einschätzung, ob der nichtsorgeberechtigte Elternteil in die Hilfeplanung einbezogen werden soll. - Hier geht es aber auch ganz klar darum, Personen, die in der Familie präsent sind, zu kennen. Als Ergebnis des Untersuchungsausschusses u.a. zu den Kindesschutzfällen in Lügde wurde herausgefunden, dass sich vielfach Personen in Familiensystemen befinden, die sich unterhalb des Radars der Jugendhilfe bewegen. Von diesen Personen gingen häufig auch Gefährdungen für die Kinder aus, dies war sozusagen ein strukturell blinder Fleck.
Frau Schäfer bedankt sich bei Herrn Treybig für die ausführliche Darstellung und möchte wissen, ob die städtischen Kindertagesstätten in Lüneburg in Bezug auf die Räumlichkeiten und dem Personalbedarf bereits die Voraussetzungen der Stufe eins erfüllen. Frau Bauer erläutert, dass es in den städtischen Kindertagesstätten bereits Integrativgruppen gibt, flächendeckend sind die Voraussetzungen jedoch noch nicht gesichert. Frau Schäfer führt an, dass die Träger von Kindertagesstätten verpflichtet sind, Konzepte zum Schutz vor Gewalt auszuarbeiten, die bei Beantragung neuer Betriebserlaubnisse vorzulegen sind und möchte wissen, ob hierfür die Träger der Kindertagesstätten oder die Einrichtungen zuständig sind. Frau Bauer erläutert, dass für die Erstellung der Kinderschutzkonzepte die Träger der Kindertagesstätten in enger Zusammenarbeit mit den Einrichtungen verantwortlich sind, gesetzlich ist diesbezüglich ein gewisser Rahmen vorgegeben. Die Hansestadt Lüneburg erarbeitet aktuell die Kinderschutzkonzepte. Frau Schallar ergänzt, dass für alle städtischen Einrichtungen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe Kinderschutzkonzepte aufgestellt werden müssen. Hierzu werden Vereinbarungen nach § 8a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zwischen der Hansestadt Lüneburg und den Beschäftigten im Bereich der städtischen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe abgeschlossen. Auch Pflegefamilien müssen Kinderschutzkonzepte erstellen. Die Hansestadt Lüneburg und der Landkreis Lüneburg entwickeln in Zusammenarbeit Kinderschutzkonzepte. Frau Schallar erläutert anhand der PowerPointPräsentation wo die Hansestadt Lüneburg aktuell bei der Umsetzung steht. Folie 18: Es besteht die Notwendigkeit, dass Kinder und Jugendliche durch mehr Kooperation der verantwortlichen Akteure besser geschützt werden können. So hat sich der bisherige Beirat „Frühe Hilfen“ neu aufgestellt, nämlich hin zu einem Beirat „Kindesschutz“. Hier tauschen sich alle Akteure, wie z.B. Vertreter:innen von Schulen, Kitas, Politik, Kinder und Zahnärzten:innen, Hebammen, Polizei und Gerichten untereinander aus und arbeiten in den unterschiedlichen Themenfeldern zur Verbesserung des Kinder- und Jugendschutzes. Der nächste Termin für dieses wichtige Gremium findet am 06. Juli 2022 statt, dort will die Hansestadt Lüneburg mit den Akteuren gemeinsam unter anderem das Verfahren zur Beteiligung von Berufsgeheimnisträgern:innen entwickeln. Ein wirksamer Kinderschutz setzt voraus, dass die Grenzen, der für den Schutz von Kindern und Jugendlichen relevanten Institutionen, durch tatsächlich „gut gelebte“ Kooperationen im Einzelfall überwunden werden. Regelmäßig findet neben diesen Treffen auch ein Austausch mit den Richtern und Rechtspflegern des hiesigen Familiengerichts statt. Die internen Abläufe des Bereichs gilt es aber selbstverständlich auch immer wieder genau in den Blick zu nehmen. Dadurch, dass das § 8a SGB VIII-Verfahren durch den Landesrechnungshof überprüft wurde, liegt der Hansestadt Lüneburg eine gute Grundlage vor, um das Thema Evaluierung, Anpassung der internen Abläufe aber auch z.B. den Internetauftritt der Hansestadt Lüneburg in den Blick zu nehmen. Eine Personalbemessung und damit eine gute personelle Ressource im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) ist selbstverständlich. Die Hansestadt Lüneburg hat vor Ort bereits ein Haus des Jugendrechts. Dies wurde dem Jugendhilfeausschuss bereits in einer der letzten Sitzungen vorgestellt. Damit wurde bereits eine sehr gute Grundlage der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte sowie der Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren geschaffen.
Folie 19: Die durchaus und berechtigterweise häufig diskutierte Kostenbeteiligung von jungen Menschen wurde von der wirtschaftlichen Jugendhilfe sofort neu angepasst und umgesetzt. Es gab bereits eine große gemeinsame Auftaktveranstaltung mit allen Vertretern:innen der AG 78 und allen Mitarbeitern:innen des Jugendamtes zu den anstehenden Themen, die das neue Kinder und Jugendstärkungsgesetz mit sich bringt. Gemeinsam mit den freien Trägern hat die Hansestadt Lüneburg sich darauf verständigt, zunächst das Thema „care leaver“ genauer zu erarbeiten. Das bereits in der Vergangenheit entwickelte „Rückführungskonzept“ bietet hierfür eine gute Grundlage, die angepasst und weiterentwickelt werden kann. Das Hilfeplanverfahren wird derzeit intern von den Teamleitungen angepasst. Viele Punkte, wie z.B. „Geschwisterbeziehungen“ sind selbstverständlich schon immer enthalten gewesen, sollen nun aber nochmals genauer betrachtet und dokumentiert werden. Um den umfassenden Beratungsanspruch sicherzustellen, den dieses Gesetz an die Fachkräfte stellt, müssen die Mitarbeitenden umfänglich fortgebildet werden, die Leitungen werden ein entsprechendes Fortbildungskonzept erstellen. Das Gesetz sorgt auch für mehr Stabilität für Kinder und Jugendliche, die in Pflegefamilien aufwachsen. Auch hier gilt es, Optionen zu entwickeln, die den Verbleib der Kinder und Jugendlichen über das 18. Lebensjahr hinaus in der Pflegefamilie ermöglichen. Einheitliche Schutzkonzepte gilt es zu erarbeiten. Im Bereich des Pflegekinderdienstes gibt es derzeit schon eine enge Zusammenarbeit mit dem Jugendamt des Landkreises Lüneburg. Es macht absolut Sinn, dass diese Themen einheitlich erarbeitet werden.
Folie 20: Die von Herrn Treybig ausführlich vorgestellten Veränderungen, stellen wohl für die Jugendämter die größte Herausforderung hinsichtlich der Umsetzung des KJSG dar. Die Hansestadt Lüneburg hat bereits im letzten Jahr mit der Umsetzung - hin zur großen Lösung - begonnen. Bei diesem Prozess wird die Hansestadt Lüneburg von dem Institut für Sozialplanung und Organisationsentwicklung begleitet. Das Institut hat unter anderem auch Städte wie Braunschweig auf dem Weg hin zur großen Lösung beraten. Es fanden diverse Zusammenkünfte mit Beteiligung der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe des Jugendamtes und des Gesundheitsamtes des Landkreises Lüneburg statt. Der Landkreis Lüneburg hat sich im Übrigen ebenfalls entschieden, deren Umsetzungsprozess von dem oben genannten Institut begleiten zulassen. Dies macht absolut Sinn, da es einige Schnittstellen mit dem Landkreis Lüneburg geben wird. Eine enge Abstimmung ist daher notwendig. In der 26. Kalenderwoche 2022 fand das letzte Planungstreffen statt. Alle Prozesse sind beschrieben und abgestimmt, die Bearbeitungszeiten sind festgelegt. Insofern wird nun eine Personalbemessung durchgeführt. Der derzeitige Stellenplan 2022 sieht bereits eine personelle Ressource vor. Eine Ausschreibung der zwei sozialpädagogischen Stellen und der zwei halben Verwaltungsstellen, um mit dem Fachdienst Teilhabe starten zu können, ist für nach den Sommerferien 2022 geplant. Auch hier müssen alle Mitarbeitenden mit entsprechenden Fortbildungen auf die neuen Herausforderungen ausgestattet werden. In der 26. Kalenderwoche 2022 fand die Abstimmung zwischen Frau Schallar und Frau Hobro vom Landkreis Lüneburg statt, dass es gemeinsame Überlegungen und Gespräche zur organisatorischen Anbindung des Verfahrenslotsen geben soll.
Folie 21: Auch hier wurde durch klare Benennung im Gesetz verschriftlich, was in Lüneburg durch den stadtteilorientierten Allgemeinen Sozialdienst (ASD) gelebt wird. Bei der Hansestadt Lüneburg sind in allen Stadtteilhäusern Mitarbeitende des ASD angesetzt. Diese sind gut vernetzt im Stadtteil und kennen die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen vor Ort. Niedrigschwellige Angebote, zum Beispiel von Vereinen, sind bekannt. So ist es immer möglich, bedarfsgerechte Angebote im Stadtteil vorzuhalten. Dies erfolgt in der Regel mit freien Trägern. In der letzten Sitzung des Jugendhilfeausschusses wurde hierzu ein Änderungsvertrag zur Kooperationsvereinbarung mit der Kreuzkirche im Geschwister Scholl Haus beschlossen. Darüber hinaus gilt es jetzt mit den freien Trägern im Stadtgebiet Lüneburg weitere bedarfsgerechte niedrigschwellige Angebote für z.B. die Betreuung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Notsituationen zu entwickeln. Der neue § 10a im KJSG sieht darüber hinaus einen umfassenden Beratungsanspruch vor. Auch hier müssen die Mitarbeitenden fortgebildet werden.
Folie 22: Das Kinder und Jugendstärkungsgesetz enthält, wie ein roter Faden, Regelungen zur Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien. Die Arbeitsweise der Hansestadt Lüneburg hat diese Beteiligung immer schon berücksichtigt. So wurden selbstverständlich schon immer Kinder und Jugendliche während einer Inobhutnahme umfassend und in einer für sie verständlichen Form aufgeklärt. Gleichwohl gilt es auch hier, die täglichen Arbeitsprozesse zu überprüfen und in den Blick zu nehmen. Wie sieht zum Beispiel so eine Beteiligung künftig bei Kindern mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung aus? Auch die Arbeit mit der Herkunftsfamilie bekommt nochmals einen umfassenderen Stellenwert. Hier ist die Hansestadt Lüneburg dabei, die Verfahren entsprechend anzupassen. Die künftige Einbindung von Selbstvertretungen im Jugendhilfeausschuss und die Etablierung des Kinder- und Jugendparlaments wird im Jugendhilfeausschuss sicherlich künftig nochmal zur Diskussion gestellt. Es bleibt abzuwarten, wie die Zugänge zu den vom Land eingerichteten Ombudsstellen möglich sind. Eventuell muss hier dann noch nachgesteuert werden.
Folie 24: Um die zusätzlichen Aufgaben im Sinne der Menschen adäquat wahrnehmen zu können, sind weitreichende organisatorische Änderungen im Jugendamt der Hansestadt Lüneburg notwendig und es entsteht ein zusätzlicher Aufwand für Leitungsaufgaben, Jugendhilfeplanung, Controlling und Qualitätsentwicklung. Die Teamgrößen müssen überprüft werden, Mitarbeiter:innen bei der Weiterentwicklung mitgenommen werden. Es bedarf der Neuaufstellung der Teams im Jugendamt, Weiterentwicklung von Abläufen, Prozessen und Standards (Qualitätsentwicklung). Es besteht unter anderem ein Bedarf an zusätzlich zu beplanende Handlungsfelder, damit die entsprechende Jugendhilfe-Infrastruktur in Lüneburg vorgehalten wird und an neuen Konzepten von Trägern (Jugendhilfeplanung). Die Steuerungsinstrumente (Controlling) müssen professionalisiert und digitalisiert werden.
Frau Schallar teilt mit, dass die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses in den kommenden Sitzungen des Jugendhilfeausschusses über die Umsetzung des KJSG und den Prozessabläufen informiert werden. Das KJSG liegt auch in Buchform vor. Sofern die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses Interesse an der Aushändigung des KJSG in Buchform haben, können diese sich an Frau Krüger, Leiterin der Stabsstelle 05, wenden. Frau Schäfer bedankt sich bei Frau Schallar für die ausführliche Darstellung und möchte wissen, ob die Finanzierung der durch das KJSG anfallenden Mehrkosten größtenteils durch das Land Niedersachsen oder den Bund aufgefangen werden. Frau Schallar erläutert, dass über eine große Lösung noch nicht abschließend entschieden wurde, dies muss gesetzlich noch geregelt werden. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die Leistungen der Jugendhilfe im SGB VIII geregelt. Hierbei handelt es sich um unterschiedliche Kostenträger. Durch den Landkreis Lüneburg werden Kostenerstattungen erfolgen. Frau Kabasci möchte wissen, ob bereits eine Größenordnung des zusätzlichen Personalbedarfs feststeht. Frau Schallar erläutert, dass die Personalbemessung zusammen mit dem Institut für Sozialplanung und Organisationsentwicklung ermittelt wird. Diese wird in der nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses vorgestellt. Der Personalbedarf und der finanzielle Mehraufwand für die Beratungsleistungen, insbesondere für die Weiterbetreuung der über 18-jährigen Jugendlichen, sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Aktuell wird davon ausgegangen, dass mit einem Anstieg von circa 20% zu rechnen ist. Frau Kabasci möchte wissen, wie sich die Planungen der Hansestadt Lüneburg hinsichtlich der städtischen Einrichtungen gestalten, um die Inklusion abzudecken. Frau Bauer erläutert, dass hierzu eine bedarfsspezifische Umgestaltung der Kindertagesstätten erforderlich ist. Das größere Problem ist jedoch der akute Personalkräftemangel, der die Akquise von qualifiziertem Personal erschwert. Herr Neumann möchte wissen, wo die Kinder mit Behinderungen aktuell betreut und versorgt werden. Frau Schallar erläutert, dass es im Stadtgebiet Lüneburg bereits spezielle Einrichtungen, wie z.B. die Lebenshilfe Lüneburg-Harburg gemeinnützige GmbH gibt, in denen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) betreut werden. Die Einrichtungen der Jugendhilfe müssen im schleichenden Prozess bedarfsgerecht umgebaut werden. Herr Neumann möchte wissen, ob künftig Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam betreut werden. Frau Schallar erläutert, dass der Wunsch besteht, dass künftig Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung in allen möglichen Einrichtungen betreut werden können. Frau Henze bittet darum, den Begriff „Pool“ genauer zu erläutern, handelt es sich hier sozusagen um ein Hintertürchen, um alle Kinder und Jugendlichen zusammen betreuen zu können? Herr Treybig erläutert, dass es sich bei den Pooling-Angeboten um eine ergänzende Maßnahme für Kinder und Jugendliche handelt, bei denen ein Hilfebedarf besteht, für die aber nicht das vollständige, komplexe Antragsverfahren durchlaufen werden muss. Der Grundgedanke ist, die „sowohl-als-auch“ Möglichkeiten zur erweitern, z.B. für die Entwicklung der Schulbegleiter. Es ist nicht die Aufgabe der Schulbegleiter, Schulprobleme zu lösen, aber die Schulen bei der Entwicklung von Konzepten zu unterstützen. Die Schulbegleiter werden punktuell dort eingesetzt, wo Bedarf besteht. Die individuellen Rechtsansprüche werden durch den Einsatz von Schulbegleitern aus den Pooling-Angeboten nicht ausgehebelt. Frau Oberbürgermeisterin Kalisch betont, dass diese große Herausforderung mit vereinten Kräften, insbesondere im Hinblick auf den Haushalt, die Kosten und das einzusetzende Personal, gestemmt werden muss. Sie bittet die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses ausdrücklich darum, das Thema in den Fraktionen, auch im Hinblick auf die nächsten Haushalte, mitzutragen.
Ergebnis:
Der mündliche Bericht zu den umfangreichen Neuerungen durch das Kinder- und Jugendstärkegesetz (KJSG) und den sich daraus ergebenden Herausforderungen wurde zur Kenntnis genommen.
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