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Auszug - Prüfung des Straßennamens Hindenburgstraße (Antrag der Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen vom 30.01.2013, eingegangen am 05.02.2013)  

 
 
Sitzung des Rates der Hansestadt Lüneburg
TOP: Ö 6.2
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: ungeändert beschlossen
Datum: Do, 28.02.2013    
Zeit: 17:00 - 20:25 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/5017/13 Prüfung des Straßennamens Hindenburgstraße (Antrag der Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen vom 30.01.2013, eingegangen am 05.02.2013)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Antrag
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Beteiligt:DEZERNAT V
Bearbeiter/-in: Kunz, Andrea   
 
Wortprotokoll
Beschluss

Beratungsinhalt:

 

Beratungsinhalt:

 

Ratsherr VON MANSBERG hebt hervor, dass zur Aufgabe des Rates der Hansestadt Lüneburg die Beratungen und Beschlussfassungen neuer Straßennamen sowie die Umbenennungen von Straßen gehören. Die Beratungen zur Umbenennung einer Straße seien eine wichtige Aufgabe, da es die Frage betreffe, wie sich die Hansestadt Lüneburg jetzt und in Zukunft darstellen wolle.

Die Hansestadt Lüneburg sei eine Stadt der Verständigung, der Toleranz, der demokratischen Kultur und des friedlichen Miteinanders. Hindenburg stehe für keines dieser Merkmale.

Der Name „Hindenburgstraße“ werde durch die Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen nicht in Frage gestellt, weil die Gruppe Geschichte vergessen habe oder wolle, sondern weil sie sich an die Ereignisse erinnere. Daher solle ein gemeinsamer Dialog mit den Menschen der Hansestadt Lüneburg und den Anwohnern der betroffenen Straße geführt werden und eine offene Diskussion, die in den Leserbriefen schon begonnen habe, und eine Aufklärung über die Rolle Hindenburgs in der Weimarer Republik stattfinden. Dazu müsse sich mit dem neuesten Stand der Forschung auseinandergesetzt werden. Bei diesem Prozess müsse man sich wissenschaftlich begleiten, informieren und beraten lassen.

Er zitiert den CDU-Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe, bezüglich der Rückbenennung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz: „Das bisherige Namenspatronat Hindenburgs ist angesichts der jüngeren wissenschaftlichen Erkenntnisse und eines dadurch veränderten Geschichtsbildes nicht mehr haltbar. Hindenburg wollte hinter die Demokratie von Weimar zurück und die freiheitliche Ordnung bewusst in eine autoritär obrigkeitliche umwandeln.“

Straßennamen stellen aus seiner Sicht eine Ehrung dar und verweisen auf die Verdienste einer Person für die Hansestadt Lüneburg oder darüber hinaus. Sie seien kein Instrument zur Geschichtsaufarbeitung und eignen sich nicht zur kritischen Würdigung einer komplexen Persönlichkeit.

Er fordere eine sachliche Debatte, indem sich von vertrauten Feindbildern und schnellen Urteilen gelöst werde. Es solle eine offene, transparente Debatte geführt werden, damit eine möglicherweise Umbenennung der Hindenburgstraße verständlich sei. Daher solle nicht heute der Beschluss zur Umbenennung der Straße gefasst werden.

 

Ratsherr BÖGERSHAUSEN erklärt, dass die ehemalige Gartenstraße am Rande des Kreidebergs von den Nationalsozialisten am 08.04.1933 in Hindenburgstraße umbenannt worden sei. Am 10.04.1947 sei diese wieder in Gartenstraße zurück benannt worden. Mit knapper Mehrheit von 3 Stimmen wurde der Antrag des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten auf Rückbenennung in Hindenburgstraße am 10.12.1952 befürwortet.

Um über die Gründe für die Straßenumbenennungen der jüngsten Zeit aufzuklären, lade die Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen zu einer breit angelegten, offenen Diskussionsrunde ein, um zu einem breiten Konsens beizutragen.

Er stimmt Ratsherrn von Mansberg zu, dass die Benennung einer Straße nach einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens eine Ehrung seines Wirkens darstelle und keine kritische Würdigung einer komplexen und widersprüchlichen Biografie sei.

 

Ratsherr DR. SCHARF zeigt auf, dass die Person Paul von Hindenburg historisch schwierig zu beurteilen sei. Hindenburg sei mit dem Denken des Kaiserreiches aufgewachsen und habe das Ende des Ersten Weltkrieges an führender militärischer Stelle erlebt. Er sei in der Weimarer Republik engagiert gewesen und habe eine entscheidende Rolle beim Übergang in die NS-Zeit gespielt. Die komplizierten historischen Situationen, Lebenssituationen und Umfeldsituationen von Hindenburg an politischer, militärischer führender Stellung seien zu bedenken. Er halte es für sehr schwierig, immer die richtige Richtung in schriftlicher wie auch mündlicher Form vorzugeben.

Die CDU-Fraktion befürworte den Antrag der Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen. Es könne nicht bei jeder Straßenumbenennung eine Grundsatzdiskussion geführt werden. Mit Oberbürgermeister Mädge habe er ein Gespräch zu dem Thema geführt, ob nicht ein Verfahren zum Umgang mit Straßenumbenennungen – Beleuchtung der historischen Rolle, Initiierung einer breiten Diskussion – durch den Rat der Hansestadt Lüneburg beschlossen werden könne.

Zu Hindenburg könne eine Expertise in Auftrag gegeben werden, die im Rahmen einer Seminararbeit an der Leuphana Universität erarbeitet werden könne. Er warne jedoch vor einer einzelnen Meinung, da das Spektrum der wissenschaftlichen Meinungen zu Hindenburg sehr vielfältig sei.

Er weist auf die Aussage von Prof. Kreft hin. Danach können historisch agierende Personen nur aus der jeweiligen Situation, in der sie gehandelt haben, verstanden und beurteilt werden. Heute könne das Handeln positiv oder negativ empfunden werden, aber es müssen die damals gültigen Bedingungen Berücksichtigung finden.

Ratsherr Dr. Scharf betont, dass durch das Beseitigen von Straßennamen und Denkmälern keine Geschichte bewältigt werde und es ein Zeichen von Schwäche darstelle. Erst das Auseinandersetzen mit dem Namen bzw. dem Denkmal beweise Stärke. Er verweist auf den Gedenkstein zu Carl Peters in Neuhaus vor dem Hotel Hannover.

Er weist darauf hin, dass die Meinung, die u.a. Ratsherr Kunath vertrete, weitergedacht zu Bücherverbrennungen führen könne.

 

Ratsherr KUNATH teilt mit, dass die Fraktion Die Linke bereits 2009 einen Antrag zur Umbenennung der Hindenburgstraße gestellt habe. Der Antrag auf Prüfung des Straßennamens von der Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen sei nur ein Ansatz des notwendigen Umdenkens.

Eine beachtliche Ausarbeitung zur Person Hindenburg sei in Münster zur Umbenennung des Hindenburgplatzes erfolgt. Aus der Geschichte Hindenburgs habe man nicht nur in Münster, sondern auch in anderen Städten gelernt und Straßen sowie Plätze umbenannt. Daher plädiert er für den Antrag der Fraktion Die Linke und zur heutigen Beschlussfassung der Umbenennung der Hindenburgstraße.

 

Ratsherr BARTELS erklärt zur Aussage von Ratsherrn Dr. Scharf, dass die historischen Vergleiche nicht angebracht seien. Hindenburg könne nicht nur auf das damalige Handeln beschränkt werden, sondern der Rat der Hansestadt müsse das Handeln und die Person beurteilen. Andernfalls würden heute noch zahlreiche Straßennamen aus der NS-Zeit existieren, was keine Aufarbeitung der Geschichte, sondern Ignoranz sei. Die kritische Auseinandersetzung mit der Person Hindenburg sei Geschichtsaufarbeitung und in diese Richtung gehe der Antrag der Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen, dem er daher zustimme.

 

Ratsfrau SCHELLMANN erinnert daran, dass Einigkeit darüber herrschte, dass für eine Straßenumbenennung begangene Fehler, die jeder Politiker gemacht habe, nicht ausreichend seien, seien sie auch noch so schrecklich.

Schrecklich empfinde sie, dass jeder, der sich nicht unterordne, der auf weit vielschichtigere, umfassendere und widersprüchliche Realitäten verweise als sie heute wahrgenommen werden, der Bagatellisierung der deutschen Geschichte oder sogar der Verharmlosung der Nazi-Vergangenheit bezichtigt werde.

Prof. Kreft fordere in seinem heutigen Leserbrief, dass bei der Bewertung der Vergangenheit sowohl damaliges Wissen, geltende Werte und Überzeugungen zugrunde zu legen seien. Sie erklärt, dass die Geschehnisse mit den Maßstäben der heutigen Zeit bewertet werden müssen, aber die damalige Zeit, in der Hindenburg agierte, sehr schwer zu bewerten sei.

Das belehrende Verhalten empfinde sie als selbstgefällig und überheblich. Trotzdem halte sie aufgrund der existierenden Hindenburgstraße die Diskussion für wichtig, da damit eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfolge.

Zur Platzumbenennung in Münster teilt sie mit, dass die offenen Diskussionen und die Ausstellung keinen versöhnlichen Charakter gehabt haben. Die Bürgerinnen und Bürger seien beteiligt worden, aber ihre Meinung habe nicht gezählt.

Für eine Ausstellung habe die Hansestadt Lüneburg nicht die erforderlichen finanziellen Mittel. Die Ausstellung sowie eine Diskussion und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger seien aus ihrer Sicht aber die Voraussetzung für eine Prüfung und gegebenenfalls Umbenennung des Straßennamens.

(siehe Anmerkung im Rat am 07.05.2013 TOP 4)

 

Beigeordneter PAULY zeigt auf, dass das Thema Hindenburg in allen Facetten wissenschaftlich sehr weit be- und aufgearbeitet worden sei, so dass heute eine Entscheidung getroffen werden könne. In Münster seien alle Pro und Contras zur Würdigung der Person Hindenburg zusammen getragen worden, wobei die Contras überwogen haben. Daraufhin sei eine Entscheidung zur Umbenennung des Hindenburgplatzes getroffen worden. Daher müsse auch die Hansestadt Lüneburg den Straßennamen Hindenburg als Bürde empfinden.

Die Schlussfolgerung von einer Straßenumbenennung zu einer Bücherverbrennung halte er für unangebracht, da sie eine geschichtliche Zeit verharmlose. So stellen Tagebücher damaliger Generäle im Gegensatz zur Benennung einer Straße nach einer Person keine Würdigung dar.

 

Beigeordnete LOTZE verdeutlicht, dass die Diskussion in Münster keinen Einfluss auf die Straßenumbenennung in der Hansestadt Lüneburg habe. In der Hansestadt Lüneburg müsse eine eigene Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern erfolgen, um eine Lösung, die möglichst von allen getragen oder zumindest akzeptiert werde, zu erreichen.

Auf die Aussage von Ratsfrau Schellmann entgegnet sie, dass die Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen weder belehrend noch missionarisch tätig sei. Sie wollen einen Dialog anstoßen, um Meinungen einzufangen, Erkenntnisse zu sammeln, Geschichte aufzuarbeiten und um eine Lösung für die Hansestadt Lüneburg zu finden.

Sie hebt hervor, dass die Menschen, die im Kaiserreich geboren wurden, nicht automatisch Antidemokraten gewesen seien. Es habe Demokraten während der NS-Zeit gegeben, die u.a. gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, wie z.B. Otto Wels.

Den Vergleich von Ratsherrn Dr. Scharf einer Straßenumbenennung mit einer Bücherverbrennung weist sie entschieden zurück.

Beschluss:

Beschluss:

 

Der Antrag der Gruppe SPD / Bündnis90/Die Grünen wird mehrheitlich bei 2 Enthaltungen der Fraktion Die Linke und einer Enthaltung von Ratsfrau Schellmann angenommen.

 

(V)