Bürgerinformationssystem
Der
Antrag wurde gemeinsam mit der Anfrage zu TOP 6.1 behandelt. Beratungsinhalt: Ratsherr KUNATH beantragt, den Antrag in den Sozial- und
Gesundheitsausschuss zu überweisen, um den Kriterienkatalog und die
detaillierten Anforderungen zu klären. Kurz bevor seine Fraktion diesen Antrag
gestellt habe, wurde von der Bundesregierung der aktuelle Armuts- und
Reichtumsbericht vorgestellt. Demnach gelten 13 Prozent der Menschen in
Deutschland als arm, in Niedersachsen betrage diese Quote sogar 14,5 Prozent.
Weitere 13 Prozent würden nur durch sozialstaatliche Unterstützung vor dem Fall
unter die Armutsgrenze bewahrt. Besonders bedenklich sei die Entwicklung, dass
immer mehr Menschen trotz Arbeit einem Armutsrisiko ausgesetzt seien. Er
erinnere an die im Rat geführten Beratungen zum Mindestlohn. Die Zahlen
belegten, dass die soziale Schere immer weiter auseinanderklaffe. Die Zahl der
von Armut bedrohten Haushalte steige an, zudem gebe es immer weniger arme
Menschen, denen der soziale Aufstieg gelinge. Dagegen verfügten rund zehn
Prozent der Haushalte über nahezu die Hälfte des gesamten Nettovermögens in
Deutschland. In Lüneburg betrage die Kinderarmut das 1,7-fache, die Arbeitslosenquote
das 1,3-fache und die Sozialquote das 1,6-fache des Landesdurchschnittes. Diese
Zahlen zeigten einen eklatanten Handlungsbedarf, es gelte, Ursachenforschung zu
betreiben. Gerade aufgrund des von der Verwaltung aufgezeigten
Alleinverantwortlichkeitsprinzips der Gemeinde und der Bemühungen, die
Auswirkungen von Armut zu mildern, werde zunächst eine Informationsbasis
benötigt. Dadurch könnten Maßnahmen noch sicherer und wirkungsvoller umgesetzt
werden. Die Verwaltung erkenne indessen auf kommunaler Ebene keine
Handlungsinstrumente, mit denen der Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich
entgegengewirkt werden könnte. Vorschläge dafür könnten jedoch aus einer
Armutsberichterstattung heraus entwickelt werden, seine Fraktion habe
beispielsweise bereits die Einführung eines Sozialausweises und die Erhöhung
der Gewerbesteuer vorgeschlagen. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung werde
die Erarbeitung kommunaler Strategien für die Armutsprävention gefordert.
Grundlage hierfür sei eine kommunale Armutsberichterstattung, wie sie etwa in
Hannover bereits seit 15 Jahren herausgegeben werde und in der auf rund 150
Seiten umfassend über die Armutssituation informiert werde. Nach Aussagen des
dortigen Sozialdezernates sei dafür eine Stelle eingerichtet worden, welche die
Daten aus den einzelnen Selbstverwaltungsbreichen zusammenführe und auswerte.
Lüneburg sei kleiner und könne einen solchen Bericht daher mit weniger Aufwand
realisieren. Beispiele für die Berichterstattung und deren Auswertung gebe es
aus anderen Städten und Gemeinden in großer Zahl. Seine Fraktion habe mit der Anlage zum Antrag einen ganz
konkreten Vorschlag unterbreitet, wie man eine solche Berichterstattung
aufbauen könnte. Eine inflationäre Erstellung von Gutachten werde von seiner
Fraktion kritisiert und abgelehnt, allerdings nicht dort, wo es notwendig sei.
Für die Vergabe der Straßenbeleuchtung gebe die Stadt einen sechsstelligen
Betrag für Berater aus, ebenso für eine Stellungnahme zum Verlauf einer
unsinnigen Autobahn. Für eine Analyse der überdurchschnittlich hohen Armut in
Lüneburg solle jedoch kein Geld ausgegeben werden. Mit der Zustimmung zum
Antrag spare man sich die Beantwortung der detaillierten Anfrage der Grünen,
möglicherweise ließen sich die Fragenkataloge auch zusammenführen. Seine
Fraktion werde zu diesem Thema im November eine erste Armutskonferenz in
Lüneburg veranstalten. Ratsherr POLS steht hinter der Stellungnahme der Verwaltung, diese könne
nicht mit zusätzlichen Aufgaben belastet werden. Die Verwaltung habe die
gesetzlichen Ansprüche zu prüfen, Ermessensentscheidungen zu treffen und
Beratungen durchzuführen, nicht jedoch kostentreibende Berichte zu erstellen.
Das Geld sollte besser in Hilfen investiert werden, insbesondere in Bildung, da
diese der Schlüssel zu späterem Wohlstand sei. Um Auswirkungen bestehender
Armut zu mildern, gebe es ein breites Spektrum freiwilliger Leistungen. Dazu
gehören die Unterstützung der Beratungsstellen freier Wohlfahrtsträger,
Entgelte für Kindertagesstätten bis hin zu Vergünstigungen für sozial Schwache
bei der Nutzung öffentlicher Einrichtungen. Nicht vergessen dürfe man die
Ausweitung und Unterstützung von Betreuern und Bildungseinrichtungen, der
frühen Sprachförderung, des Krippen- und Kitaangebotes oder auch die Nachholung
von Schulabschlüssen, wodurch längerfristig den Ursachen für eine Ausgrenzung
und Benachteiligung entgegen gewirkt werden solle. Da der geforderte Bericht ohnehin aus veralteten Zahlen
bestehen würde und diese Zahlen, herabgebrochen auf eine Kommune, zudem nicht
exakt ermittelbar seien, laufe ein solcher Bericht ins Leere. Die Welt am
Sonntag habe in ihrer Ausgabe vom 21. September über das ‚Übersehen des
Schwindens der Armut’ berichtet: Danach werde die gute Nachricht, dass
die Armut in Deutschland im Jahre 2006 spürbar gesunken sei, kaum kommentiert.
Die Schere zwischen hohen und niedrigen Löhnen öffne sich nicht weiter, in
Ostdeutschland habe sich der Unterschied verringert. Die Lustlosigkeit, mit der
die guten Zahlen registriert wurden, sei ein Indiz für die wahren Interessen
linksgerichteter Politiker, egal in welcher Partei diese organisiert seien. Die
vermeintliche Armut helfe im Wahlkampf bei der Verschärfung des
gesellschaftlichen Reizklimas. Für die Linke werde Armut erst zum Problem, wenn
sie schwinde, mit jedem Aufsteiger schwinde ein Wähler. Die Zahlen dürften für
2007 und 2008 sogar noch besser ausfallen. Die Zukunft der Sozialdemokratie
entscheide sich daran, wie ernst sie diese Zahlen nehme und wie wichtig ihr das
Wohlergehen jener sei, die ihr als Schutzbefohlene gelten. Ratsfrau MAHLKE-VOß erläutert, dass Armut die Basis unserer auf sozialer
Marktwirtschaft aufgebauten Gesellschaft untergrabe, wenn nicht richtig und
ehrlich damit umgegangen werde. Armut grenze aus und mache die Teilhabe an gesellschaftlichen
Prozessen unmöglich. Den Menschen werde zunehmend bewusst, dass Armut ein
weltweit die Gesellschaft bedrohendes Problem sei. Am internationalen Tag zur
Beseitigung der Armut haben in diesem Jahr 39 Millionen Menschen ihre Stimme
erhoben. Zum wiederholten Male fordere ihre Fraktion die Erfassung diverser
Indikatoren, anhand derer ein Armuts- und Reichtumsbericht für Stadt und
Landkreis ermöglicht werde. Der letzte Bericht des Landes Niedersachsen sei
bereits drei Jahre alt, aktuelle Daten für die Region gebe es daher nicht.
Zudem weise der Bericht Mängel auf, da Angaben zur Sozialentwicklung nur
ansatzweise veröffentlicht würden. Vernünftige Konzepte zur Eindämmung
aktueller Probleme und zur Prävention basierten auf evaluierten Daten, die gerade
die Sozialentwicklung in der Region mit einbeziehen. Es gelte, entsprechende
Indikatoren zu erstellen, zu erfassen und zu beschreiben, um anhand eines
Soll/Ist-Vergleiches Transparenz zu schaffen. Aus dem jüngsten OECD-Bericht lasse sich ablesen, dass sich
die Armut weltweit weiter exponentiell ausbreite, wobei die OECD von einer sehr
eng gefassten Armutsdefinition ausgehe. Betrachte man heute das Armutsrisiko in
Haushalten, in denen keine Person arbeite, weise Deutschland im OECD-Vergleich
mit 40 Prozent die höchste Rate auf. Außerdem haben die Einkommensunterschiede
seit dem Jahr 2000 enorm zugenommen. Die höheren Einkommen seien
überproportional angestiegen, dadurch werde die Schere immer weiter.
Alleinerziehende und Kinder seien überdurchschnittlich von Armut betroffen.
Deutschland gehöre, das sei die alarmierendste Zahl im OECD-Bericht, zu den
Ländern, in denen die Kinderarmut am stärksten gewachsen sei. Da Lüneburg
gerade auch für Familien mit Kindern als Zuzugsgebiet gelte, sei die Stadt in
verstärktem Maße betroffen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzkrise sei
damit zu rechnen, dass sich das Armutsproblem ausweiten werde, da die
Hauptursache für Armut nach wie vor Arbeitslosigkeit sei, gefolgt von Scheidung
und vom Tod des Partners. Es gelte, Kinderarmut einzudämmen, den Niedriglohnsektor zu
verringern, Arbeitsplätze zu schützen, soziale Ausgrenzung zu verhindern und
den Sozialstaat zu stärken. Darüber sei man sich sicherlich
parteienübergreifend einig. Diese hoch aufgehängten Ziele können und müssten
auch auf kommunalpolitischer Ebene angegangen werden. Man könne nicht die Hände
in den Schoß legen und auf eventuelle Beschlüsse von Land und Bund warten. Das
Thema könne nicht als Lappalie behandelt und mit dem Hinweis auf zu wenig
Verwaltungspersonal wegdiskutiert werden. Man müsse endlich anfangen, sich
ernsthaft mit dem Thema Armut auseinander zu setzen und Daten zu sammeln, damit
die Ratsmitglieder als Bürgervertreter überhaupt in die Lage versetzt werden,
die Ausmaße der Armut vor Ort zu erfassen. Erst dann könnten, gemeinsam mit
allen Akteuren, Lösungen gefunden und Konzepte entwickelt werden, nicht nur zur
Linderung, sondern auch zur Prävention. Die Anfrage der Grünen und der Antrag
der Linken seien daher dringend im Sozialausschuss zu beraten. Beigeordnete LOTZE entgegnet, dass dieses Thema ständig Gegenstand der
Beratungen im Sozialausschuss sei, daher sei es nicht von großer Bedeutung, ob
dieser Antrag überwiesen werde oder nicht. Die Absicht, Armut zu verhindern
oder zu mildern, habe jedes Ratsmitglied. Man gehe jedoch unterschiedliche
Wege, um dieses Ziel zu erreichen. Jeder wisse, dass das Armutsproblem in
Deutschland und in der Welt nicht gelöst sei. Betroffen seien besonders Kinder,
nicht allein im Sinne von Mangel an Geld, sondern im Sinne eines Mangels an
Teilhabe und Chancen. Damit könne man sich nicht abfinden. Dass die Regelsätze für Kinder bisher nicht angehoben wurden
und eine Komponente für Bildung darin nicht enthalten sei, ärgere sie
persönlich. Die Frage sei aber doch, ob man Excel-Tabellen wolle, oder ob man
wolle, dass Kinder einen Schulranzen bekommen, wenn sie in die Schule gehen und
dass sie dort ein gesundes und warmes Mittagessen erhalten. Das Problem werde
nicht gelöst, indem man Menschen und ihre Lebensumstände in Zahlenkolonnen nach
verschiedensten Kriterien erfasse. Was habe man gewonnen, wenn alles gemessen,
gezählt und in Tabellen gegossen worden sei ? Was nütze einem, zu wissen, wie
viele Reiche in Lüneburg wohnen ? Das befriedige die persönliche Neugier, helfe
aber nicht weiter. Mit dem Sammeln von Daten würden für keinen einzigen
Menschen in Lüneburg die Lebensbedingungen verbessert. Bund, Länder und insbesondere einige größere Kommunen
erstellen Armuts- bzw. Sozialberichte, dazu gehöre unter anderem die Stadt
Hannover. Herr Kunath habe richtig gesagt, dass in Hannover eine Mitarbeiterin
das ganze Jahr über damit beschäftigt sei, die Daten zu erheben. Das binde
Kraft und koste eine Menge Geld. Alle diese Berichte kämen durch die Bank zu
dem Ergebnis, dass von Armut insbesondere allein erziehende Frauen, allein
erzogene Kinder und Jugendliche, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen
ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Langzeitarbeitslose bedroht oder
betroffen seien. Das sei allgemein bekannt, im Prinzip wisse man, wo die
Probleme liegen, daher müsse man in Lüneburg nicht nochmals alles neu erfassen.
Alles das, was in den Sozialberichten anderer Städte an Handlungsansätzen
gefordert werde, gelte auch für Lüneburg und werde hier bereits umgesetzt. Menschen brauchten vernünftig bezahlte Arbeit, darauf habe
man leider relativ wenig Einfluss. Manschen brauchten aber vor allem auch
Bildung, da ein gut ausgebildeter Mensch in der Regel nicht auf
Sozialleistungen angewiesen sei. In Lüneburg werden 57 Millionen Euro in die
Schulen investiert, dadurch entstehe ein gutes Lernumfeld. Es gebe Zuschüsse
zum Schulstart und zum Mittagessen, die Betreuungsangebote würden ausgebaut,
das Sprachförderprogramm in den Kitas eingeführt, alle Grundschulen werden zu
Ganztagsschulen ausgebaut. Zudem biete die VHS eine Vielzahl an Kursen für
lebenslanges Lernen an. In Lüneburg schaffe man gute Voraussetzungen dafür,
dass alle Jugendlichen einen Schulabschluss bekommen, um damit eine Ausbildung
beginnen zu können, damit sie im Erwachsenenleben für ihr eigenes Einkommen
sorgen können. Dadurch gerieten sie gar nicht erst in die Abhängigkeit von
Transferleistungen. Ihre Fraktion werde dem Antrag der Linken nicht zustimmen,
damit das Geld nicht für Datenfriedhöfe ausgegeben werde. Ratsherr SOLDAN dankt Frau Lotze für diese Ausführungen, mit denen sie
deutlich gemacht habe, was in Lüneburg bereits getan werde. Papier sei
bekanntlich geduldig und diene meistens dazu, Ordner zu füllen, die in einem
Schrank verschwinden. Die praktische Arbeit, die gegen die real in Deutschland
existierende Armut gemacht werden müsse, könne nur von engagierten Menschen
gemacht werden. Solche Menschen säßen im Jugendhilfe- und im Sozialausschuss,
nämlich die Vertreter der Organisationen, die direkt mit der Bekämpfung der
Armut oder deren Auswüchsen zu tun haben, wie Sozialverbände und
Bildungseinrichtungen. Diese arbeiteten gezielt an den Problemen, die die Armut
den betroffenen Menschen bereite, indem sie Strategien entwickelten. Sie finden
in der Regel offene Ohren bei den Ratsmitgliedern, so dass gemeinsam Lösungen
erarbeitet würden. Was man nicht brauche, seien noch mehr Papiere. Armut müsse
nicht verwaltet, sondern bekämpft werden. Es sei deutlich geworden, wie
schwierig Armut zu definieren sei. Zur Armut gehöre nicht nur eine finanzielle
Armut, sondern auch soziale Armut oder Armut an Bildung. Auf diesen Gebieten
sei man in Lüneburg bei der Bekämpfung der Armut tätig. Erster Stadtrat KOCH führt aus, dass die Verwaltung die Anfrage der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen nicht beantworten werde. Es sei bereits im Juni gesagt
worden, dass der Umfang des Fragenkataloges eine Beantwortung in zumutbarer
Zeit nicht erlaube. Bei dem derzeitigen Personalbestand sei eine Beantwortung
sogar schlicht unmöglich. Zudem könne der schon mehrfach diskutierte und stets
abgelehnte Wunsch nach einer Armuts- oder Sozialberichterstattung nicht durch
eine Anfrage unterlaufen werden, die im Falle einer fachgerechten Beantwortung
letztendlich eine Sozialberichterstattung darstelle. Die aufgeworfenen Fragen
beträfen auch nur zu einem geringen Teil Angelegenheiten der Stadt Lüneburg,
die in der örtlichen Zuständigkeit und Kompetenz liegen. Über solche Fragen
könne man sich eine politische Meinung bilden und diskutieren, nicht jedoch unter
Inanspruchnahme von Mitteln der Verwaltung. Inhaltlich könne er folgende Auskünfte geben: Am Vortag habe
der Sozialausschuss des Niedersächsischen Städtetages getagt, dort sei vom
Sozialministerium ein Modell vorgestellt worden zur so genannten ‚handlungsorientierten
Sozialberichterstattung’. Sinn einer solchen Berichterstattung sei es,
keine weiteren Datenfriedhöfe zu erzeugen, sondern nur das zu erfassen, worauf
man selbst Einfluss habe, um sich zu vergewissern, dass die eigenen
Handlungsansätze richtig seien und die anzusprechenden Zielgruppen erreichten.
Insofern habe man in Lüneburg keine Erkenntnisdefizite. Er erinnere an die
Diskussion über die Notwendigkeit einer Einschulungsbeihilfe, weil in den
Regelsätzen kein Ansatz beispielsweise für Hefte und Schreibzeug vorgesehen
sei. Mit großer Mehrheit habe man daraufhin den Entschluss gefasst,
überbrückungsweise eine kommunale Beihilfe bereit zu stellen, bis es eine
bundesgesetzliche Regelung gebe. Die Zahl der betroffenen Kinder erfahre man
durch eine einfache Nachfrage bei den Schulen, welche Kinder von der
Lernmittelfreiheit betroffen sind. Sobald also ein Bedarf irgendwo vermutet
werde, werde die Notwendigkeit schnell und unproblematisch geprüft und die
erforderlichen Schritte eingeleitet. Dazu brauche man keine aufwändig zu
erzeugende Sozialberichterstattung, die natürlich auch stets aktuell gehalten
werden müsste. In einigen Teilbereichen sei die Stadt verpflichtet,
Berichte zu erzeugen. So sei in einem langen und fruchtbaren Prozess eine
Jugendhilfeplanung erstellt worden, die nicht nur eine Bestandsaufnahme aller
Dienstleistungen und Angebote darstelle, sondern eine soziodemographische
Betrachtung der Kinder und Jugendlichen. Auch in der letzten Sitzung des
Sozialausschusses habe man sich mit Fragen des Mittagstisches für Bedürftige
beschäftigt und in diesem Zusammenhang mit der Tafel und anderen Anbietern
gesprochen. Er betone, dass das Problem der Armut in Lüneburg nicht
verdrängt oder verleugnet, sondern adäquat darauf eingegangen und gehandelt werde.
Die meisten Begriffsdefinitionen für Armut seien relativer
Art, beträfen also das Abweichen von einem Durchschnittseinkommen. Erhöhe sich
das Durchschnittseinkommen in Deutschland, steige automatisch auch die
Armutsquote. Die Thematik der Ungleichverteilung des Geldes sei mehrfach im
Sozialausschuss diskutiert worden mit dem Ergebnis, dass man dieser Verteilung
nur in engen Grenzen durch freiwillige Leistungen begegnen könne. Man könnte die Armutsquote in Lüneburg steuern und sofort
senken, indem man den Zuzug geringer verdienender Menschen in die Stadt –
beispielsweise durch die ausschließliche Zulassung teurer Neubaugebiete –
verhindere. Das sei jedoch noch nie die Politik der Stadt Lüneburg gewesen. Die
gesamte Stadtentwicklungspolitik sei von jeher darauf ausgerichtet, die Stadt
lebenswert für Menschen jeden Alters, jeder Herkunft und jeden Einkommens zu
machen und diese in Lüneburg willkommen zu heißen. Die Erstellung einer exakten Berichterstattung führe auch
nicht automatisch zu richtigen und rationalen Entscheidungen. Seit zehn Jahren
sei bekannt, dass Bildung eine wesentliche Voraussetzung für soziale Teilhabe
sei und trotzdem gebe es in Niedersachsen noch immer kein staatlich geordnetes
System des zweiten Bildungsweges. Wer einmal den Hauptschulabschluss verpasst
habe, sei auf sich allein gestellt, es sei denn, es gibt – wie in
Lüneburg – eine Nachholmöglichkeit aufgrund des freiwilligen Entschlusses
der Kommune und einer Volkshochschule. In vielen kleineren Gemeinden gebe es so
etwas jedoch nicht. Einige Städte und Gemeinden setzten sich sozusagen an die
Spitze der Bewegung, indem sie, wie die Stadt Göttingen, einen
‚Masterplan Kinderarmut’ erstellen. Dabei sei eine weit
überproportionale Quote an Kinderarmut festgestellt worden. Bei näherer
Betrachtung der Einzelschicksale stellte sich heraus, dass dieser Wert
beispielsweise durch die hohe Zahl von Studierenden mit kleinen Kindern ganz
erheblich beeinflusst wurde. Demgegenüber stehe in Göttingen eine Vielzahl
sozialer Unterstützungsangebote speziell für diesen Personenkreis, was in einer
solchen, rein statistischen Betrachtung jedoch nicht deutlich werde. Dies werfe
die Frage auf, wie sinnvoll eine solche abstrakte Sozialberichterstattung sei. In Lüneburg habe man parteiübergreifend sehr vernünftige und
pragmatische Wege zur Bekämpfung von Armut gefunden, um für eine sozial
gerechte Infrastruktur zu sorgen. Ratsherr KROLL merkt an, dass Armut von Kindern nicht von Gott gewollt und
auch nicht gegeben sei. Er wolle an dieser Stelle auf einige Ursachen von Armut
eingehen. Viele Kinder werden in die Armut hinein geboren, weil die Mütter
allein erziehend, die Eltern arbeitslos oder nicht in der Lage sind, mit Geld
umzugehen oder Kindern ein gesundes Mittagessen zu bereiten. Man erkenne dies
nicht zuletzt am Inhalt der gelben Säcke, die bisweilen ausschließlich mit
leeren Konservendosen gefüllt seien. Wer sich nur von Konserven ernähre, lebe
teuer und ungesund und gleite langsam in die Armut. Der Vorwurf von Frau Landesbischöfin Käßmann zum Versagen
des Staates, weil Kinder mit hungrigem Magen oder ohne ordentliche Schuhe die
Schule besuchten, sei leichtfertig ausgesprochen und unbegründet. Man dürfe
nicht dem Staat die gesamte Verantwortung aufbürden. Trennten sich Partner, so
gerate oft ein Elternteil – meistens die Mutter – gemeinsam mit den
Kindern in Armut. Was solle der Staat dagegen tun, wenn Eltern sich etwa
weigerten, ihren Kindern ein geregeltes Frühstück oder ein Schulbrot
zuzubereiten ? Viele Kinder würden sich selbst überlassen, weil die Eltern sich
nicht um sie kümmerten. Oft liege es nicht am fehlenden Geld, sondern an der
Bequemlichkeit der Eltern, dass die Kinder dem Anschein der Armut ausgesetzt
werden. Elternpflichten würden heutzutage klein geschrieben. Vor dreißig Jahren habe es geheißen, das Bruttosozialprodukt
in Deutschland werde auf zweierlei Weise erarbeitet, einmal durch die Arbeit
und einmal in der Familie. Woran liege es, dass junge Leute heute oft nicht
ausbildungsfähig sind ? Doch nicht allein an den Schulen, sondern auch an den
Familien, aus denen sie kommen. Ein Problem der Gesellschaft sei die
Überschuldung, wer arm sei müsse aber nicht automatisch überschuldet sein. Wer
jedoch überschuldet sei, liege am Rande der Armut. Dies treffe heute bereits
auf etwa drei Millionen Haushalte zu. Durch die Gesetzgebung der letzten Jahre
seien die Hindernisse für riskante Kreditaufnahmen unnötig abgesenkt worden. So
sei die bis dahin dreißigjährige Verjährungsfrist titulierter Forderungen auf
sechs Jahre verkürzt und die Pfändungsfreigrenze auf neunhundert Euro angehoben
worden. Mit diesen und weiteren Schutzmaßnahmen werde Schuldnern Tür und Tor
zum Missbrauch geöffnet und der Weg in die Armut geebnet. Beigeordneter BLANCK möchte die Vorwürfe von Herrn Kroll so keinesfalls stehen
lassen. Es könne nicht angehen, sich hier hinzustellen und Leuten vorzuwerfen,
vorsätzlich ihre Armut herbeizuführen. Wer den Leuten zudem vorwerfe, sich aus
Konserven zu ernähren, müsse sich die Mühe machen, erst einmal die Realität zur
Kenntnis zu nehmen: Dosen seien nun einmal deutlich günstiger als frisches
Gemüse und Obst, welches sich viele Menschen eben nicht mehr leisten könnten.
Dieses sei der wahre Grund für mit Konservendosen gefüllte gelbe Säcke. Ratsherr VON MANSBERG findet in der hier geführten Debatte exakt wieder, was die
Diskussion so schwierig mache. Es bringe nichts, Armut von Tisch zu reden, es
bringe aber auch nichts, Armut zu instrumentalisieren, um ein bestimmtes
politisches Ziel zu verfolgen. Einzig tätig zu werden, bringe die Bekämpfung
von Armut voran. Den Ausführungen von Herrn Koch darüber, was eine Kommune wie
Lüneburg tun könne, um diesem schwierigen Thema entgegen zu treten, sei nichts
hinzuzufügen. Alles andere sei völlig überflüssig. Beschluss: Der
Rat der Hansestadt Lüneburg lehnt den Antrag mehrheitlich mit den Stimmen der
Gruppe SPD/CDU und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE ab. (5,
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