Bürgerinformationssystem

Auszug - Armuts- und Reichtumsbericht (Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 11.06.2008, eingegangen am 12.06.2008)  

 
 
Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Rates der Hansestadt Lüneburg
TOP: Ö 5.3
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: abgelehnt
Datum: Do, 30.10.2008    
Zeit: 17:00 - 19:55 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/2897/08 Armuts- und Reichtumsbericht (Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 11.06.2008, eingegangen am 12.06.2008)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Antrag der Fraktion DIE LINKE
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Beteiligt:Fachbereich 5a - Soziales und Integration
Bearbeiter/-in: Gieseking, Stefan   
 
Wortprotokoll
Beschluss

Der Antrag wurde gemeinsam mit der Anfrage zu TOP 6

Der Antrag wurde gemeinsam mit der Anfrage zu TOP 6.1 behandelt.

 

Beratungsinhalt:

 

Ratsherr KUNATH beantragt, den Antrag in den Sozial- und Gesundheitsausschuss zu überweisen, um den Kriterienkatalog und die detaillierten Anforderungen zu klären. Kurz bevor seine Fraktion diesen Antrag gestellt habe, wurde von der Bundesregierung der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht vorgestellt. Demnach gelten 13 Prozent der Menschen in Deutschland als arm, in Niedersachsen betrage diese Quote sogar 14,5 Prozent. Weitere 13 Prozent würden nur durch sozialstaatliche Unterstützung vor dem Fall unter die Armutsgrenze bewahrt. Besonders bedenklich sei die Entwicklung, dass immer mehr Menschen trotz Arbeit einem Armutsrisiko ausgesetzt seien. Er erinnere an die im Rat geführten Beratungen zum Mindestlohn. Die Zahlen belegten, dass die soziale Schere immer weiter auseinanderklaffe. Die Zahl der von Armut bedrohten Haushalte steige an, zudem gebe es immer weniger arme Menschen, denen der soziale Aufstieg gelinge. Dagegen verfügten rund zehn Prozent der Haushalte über nahezu die Hälfte des gesamten Nettovermögens in Deutschland.

In Lüneburg betrage die Kinderarmut das 1,7-fache, die Arbeitslosenquote das 1,3-fache und die Sozialquote das 1,6-fache des Landesdurchschnittes. Diese Zahlen zeigten einen eklatanten Handlungsbedarf, es gelte, Ursachenforschung zu betreiben. Gerade aufgrund des von der Verwaltung aufgezeigten Alleinverantwortlichkeitsprinzips der Gemeinde und der Bemühungen, die Auswirkungen von Armut zu mildern, werde zunächst eine Informationsbasis benötigt. Dadurch könnten Maßnahmen noch sicherer und wirkungsvoller umgesetzt werden. Die Verwaltung erkenne indessen auf kommunaler Ebene keine Handlungsinstrumente, mit denen der Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich entgegengewirkt werden könnte. Vorschläge dafür könnten jedoch aus einer Armutsberichterstattung heraus entwickelt werden, seine Fraktion habe beispielsweise bereits die Einführung eines Sozialausweises und die Erhöhung der Gewerbesteuer vorgeschlagen.

Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung werde die Erarbeitung kommunaler Strategien für die Armutsprävention gefordert. Grundlage hierfür sei eine kommunale Armutsberichterstattung, wie sie etwa in Hannover bereits seit 15 Jahren herausgegeben werde und in der auf rund 150 Seiten umfassend über die Armutssituation informiert werde. Nach Aussagen des dortigen Sozialdezernates sei dafür eine Stelle eingerichtet worden, welche die Daten aus den einzelnen Selbstverwaltungsbreichen zusammenführe und auswerte. Lüneburg sei kleiner und könne einen solchen Bericht daher mit weniger Aufwand realisieren. Beispiele für die Berichterstattung und deren Auswertung gebe es aus anderen Städten und Gemeinden in großer Zahl.

Seine Fraktion habe mit der Anlage zum Antrag einen ganz konkreten Vorschlag unterbreitet, wie man eine solche Berichterstattung aufbauen könnte. Eine inflationäre Erstellung von Gutachten werde von seiner Fraktion kritisiert und abgelehnt, allerdings nicht dort, wo es notwendig sei. Für die Vergabe der Straßenbeleuchtung gebe die Stadt einen sechsstelligen Betrag für Berater aus, ebenso für eine Stellungnahme zum Verlauf einer unsinnigen Autobahn. Für eine Analyse der überdurchschnittlich hohen Armut in Lüneburg solle jedoch kein Geld ausgegeben werden. Mit der Zustimmung zum Antrag spare man sich die Beantwortung der detaillierten Anfrage der Grünen, möglicherweise ließen sich die Fragenkataloge auch zusammenführen. Seine Fraktion werde zu diesem Thema im November eine erste Armutskonferenz in Lüneburg veranstalten.

 

Ratsherr POLS steht hinter der Stellungnahme der Verwaltung, diese könne nicht mit zusätzlichen Aufgaben belastet werden. Die Verwaltung habe die gesetzlichen Ansprüche zu prüfen, Ermessensentscheidungen zu treffen und Beratungen durchzuführen, nicht jedoch kostentreibende Berichte zu erstellen. Das Geld sollte besser in Hilfen investiert werden, insbesondere in Bildung, da diese der Schlüssel zu späterem Wohlstand sei. Um Auswirkungen bestehender Armut zu mildern, gebe es ein breites Spektrum freiwilliger Leistungen. Dazu gehören die Unterstützung der Beratungsstellen freier Wohlfahrtsträger, Entgelte für Kindertagesstätten bis hin zu Vergünstigungen für sozial Schwache bei der Nutzung öffentlicher Einrichtungen. Nicht vergessen dürfe man die Ausweitung und Unterstützung von Betreuern und Bildungseinrichtungen, der frühen Sprachförderung, des Krippen- und Kitaangebotes oder auch die Nachholung von Schulabschlüssen, wodurch längerfristig den Ursachen für eine Ausgrenzung und Benachteiligung entgegen gewirkt werden solle.

Da der geforderte Bericht ohnehin aus veralteten Zahlen bestehen würde und diese Zahlen, herabgebrochen auf eine Kommune, zudem nicht exakt ermittelbar seien, laufe ein solcher Bericht ins Leere. Die Welt am Sonntag habe in ihrer Ausgabe vom 21. September über das ‚Übersehen des Schwindens der Armut’ berichtet: Danach werde die gute Nachricht, dass die Armut in Deutschland im Jahre 2006 spürbar gesunken sei, kaum kommentiert. Die Schere zwischen hohen und niedrigen Löhnen öffne sich nicht weiter, in Ostdeutschland habe sich der Unterschied verringert. Die Lustlosigkeit, mit der die guten Zahlen registriert wurden, sei ein Indiz für die wahren Interessen linksgerichteter Politiker, egal in welcher Partei diese organisiert seien. Die vermeintliche Armut helfe im Wahlkampf bei der Verschärfung des gesellschaftlichen Reizklimas. Für die Linke werde Armut erst zum Problem, wenn sie schwinde, mit jedem Aufsteiger schwinde ein Wähler. Die Zahlen dürften für 2007 und 2008 sogar noch besser ausfallen. Die Zukunft der Sozialdemokratie entscheide sich daran, wie ernst sie diese Zahlen nehme und wie wichtig ihr das Wohlergehen jener sei, die ihr als Schutzbefohlene gelten.

 

Ratsfrau MAHLKE-VOß erläutert, dass Armut die Basis unserer auf sozialer Marktwirtschaft aufgebauten Gesellschaft untergrabe, wenn nicht richtig und ehrlich damit umgegangen werde. Armut grenze aus und mache die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen unmöglich. Den Menschen werde zunehmend bewusst, dass Armut ein weltweit die Gesellschaft bedrohendes Problem sei. Am internationalen Tag zur Beseitigung der Armut haben in diesem Jahr 39 Millionen Menschen ihre Stimme erhoben. Zum wiederholten Male fordere ihre Fraktion die Erfassung diverser Indikatoren, anhand derer ein Armuts- und Reichtumsbericht für Stadt und Landkreis ermöglicht werde. Der letzte Bericht des Landes Niedersachsen sei bereits drei Jahre alt, aktuelle Daten für die Region gebe es daher nicht. Zudem weise der Bericht Mängel auf, da Angaben zur Sozialentwicklung nur ansatzweise veröffentlicht würden. Vernünftige Konzepte zur Eindämmung aktueller Probleme und zur Prävention basierten auf evaluierten Daten, die gerade die Sozialentwicklung in der Region mit einbeziehen. Es gelte, entsprechende Indikatoren zu erstellen, zu erfassen und zu beschreiben, um anhand eines Soll/Ist-Vergleiches Transparenz zu schaffen.

Aus dem jüngsten OECD-Bericht lasse sich ablesen, dass sich die Armut weltweit weiter exponentiell ausbreite, wobei die OECD von einer sehr eng gefassten Armutsdefinition ausgehe. Betrachte man heute das Armutsrisiko in Haushalten, in denen keine Person arbeite, weise Deutschland im OECD-Vergleich mit 40 Prozent die höchste Rate auf. Außerdem haben die Einkommensunterschiede seit dem Jahr 2000 enorm zugenommen. Die höheren Einkommen seien überproportional angestiegen, dadurch werde die Schere immer weiter. Alleinerziehende und Kinder seien überdurchschnittlich von Armut betroffen. Deutschland gehöre, das sei die alarmierendste Zahl im OECD-Bericht, zu den Ländern, in denen die Kinderarmut am stärksten gewachsen sei. Da Lüneburg gerade auch für Familien mit Kindern als Zuzugsgebiet gelte, sei die Stadt in verstärktem Maße betroffen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzkrise sei damit zu rechnen, dass sich das Armutsproblem ausweiten werde, da die Hauptursache für Armut nach wie vor Arbeitslosigkeit sei, gefolgt von Scheidung und vom Tod des Partners.

Es gelte, Kinderarmut einzudämmen, den Niedriglohnsektor zu verringern, Arbeitsplätze zu schützen, soziale Ausgrenzung zu verhindern und den Sozialstaat zu stärken. Darüber sei man sich sicherlich parteienübergreifend einig. Diese hoch aufgehängten Ziele können und müssten auch auf kommunalpolitischer Ebene angegangen werden. Man könne nicht die Hände in den Schoß legen und auf eventuelle Beschlüsse von Land und Bund warten. Das Thema könne nicht als Lappalie behandelt und mit dem Hinweis auf zu wenig Verwaltungspersonal wegdiskutiert werden. Man müsse endlich anfangen, sich ernsthaft mit dem Thema Armut auseinander zu setzen und Daten zu sammeln, damit die Ratsmitglieder als Bürgervertreter überhaupt in die Lage versetzt werden, die Ausmaße der Armut vor Ort zu erfassen. Erst dann könnten, gemeinsam mit allen Akteuren, Lösungen gefunden und Konzepte entwickelt werden, nicht nur zur Linderung, sondern auch zur Prävention. Die Anfrage der Grünen und der Antrag der Linken seien daher dringend im Sozialausschuss zu beraten.

 

Beigeordnete LOTZE entgegnet, dass dieses Thema ständig Gegenstand der Beratungen im Sozialausschuss sei, daher sei es nicht von großer Bedeutung, ob dieser Antrag überwiesen werde oder nicht. Die Absicht, Armut zu verhindern oder zu mildern, habe jedes Ratsmitglied. Man gehe jedoch unterschiedliche Wege, um dieses Ziel zu erreichen. Jeder wisse, dass das Armutsproblem in Deutschland und in der Welt nicht gelöst sei. Betroffen seien besonders Kinder, nicht allein im Sinne von Mangel an Geld, sondern im Sinne eines Mangels an Teilhabe und Chancen. Damit könne man sich nicht abfinden.

Dass die Regelsätze für Kinder bisher nicht angehoben wurden und eine Komponente für Bildung darin nicht enthalten sei, ärgere sie persönlich. Die Frage sei aber doch, ob man Excel-Tabellen wolle, oder ob man wolle, dass Kinder einen Schulranzen bekommen, wenn sie in die Schule gehen und dass sie dort ein gesundes und warmes Mittagessen erhalten. Das Problem werde nicht gelöst, indem man Menschen und ihre Lebensumstände in Zahlenkolonnen nach verschiedensten Kriterien erfasse. Was habe man gewonnen, wenn alles gemessen, gezählt und in Tabellen gegossen worden sei ? Was nütze einem, zu wissen, wie viele Reiche in Lüneburg wohnen ? Das befriedige die persönliche Neugier, helfe aber nicht weiter. Mit dem Sammeln von Daten würden für keinen einzigen Menschen in Lüneburg die Lebensbedingungen verbessert.

Bund, Länder und insbesondere einige größere Kommunen erstellen Armuts- bzw. Sozialberichte, dazu gehöre unter anderem die Stadt Hannover. Herr Kunath habe richtig gesagt, dass in Hannover eine Mitarbeiterin das ganze Jahr über damit beschäftigt sei, die Daten zu erheben. Das binde Kraft und koste eine Menge Geld. Alle diese Berichte kämen durch die Bank zu dem Ergebnis, dass von Armut insbesondere allein erziehende Frauen, allein erzogene Kinder und Jugendliche, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Langzeitarbeitslose bedroht oder betroffen seien. Das sei allgemein bekannt, im Prinzip wisse man, wo die Probleme liegen, daher müsse man in Lüneburg nicht nochmals alles neu erfassen. Alles das, was in den Sozialberichten anderer Städte an Handlungsansätzen gefordert werde, gelte auch für Lüneburg und werde hier bereits umgesetzt.

Menschen brauchten vernünftig bezahlte Arbeit, darauf habe man leider relativ wenig Einfluss. Manschen brauchten aber vor allem auch Bildung, da ein gut ausgebildeter Mensch in der Regel nicht auf Sozialleistungen angewiesen sei. In Lüneburg werden 57 Millionen Euro in die Schulen investiert, dadurch entstehe ein gutes Lernumfeld. Es gebe Zuschüsse zum Schulstart und zum Mittagessen, die Betreuungsangebote würden ausgebaut, das Sprachförderprogramm in den Kitas eingeführt, alle Grundschulen werden zu Ganztagsschulen ausgebaut. Zudem biete die VHS eine Vielzahl an Kursen für lebenslanges Lernen an. In Lüneburg schaffe man gute Voraussetzungen dafür, dass alle Jugendlichen einen Schulabschluss bekommen, um damit eine Ausbildung beginnen zu können, damit sie im Erwachsenenleben für ihr eigenes Einkommen sorgen können. Dadurch gerieten sie gar nicht erst in die Abhängigkeit von Transferleistungen. Ihre Fraktion werde dem Antrag der Linken nicht zustimmen, damit das Geld nicht für Datenfriedhöfe ausgegeben werde.

 

Ratsherr SOLDAN dankt Frau Lotze für diese Ausführungen, mit denen sie deutlich gemacht habe, was in Lüneburg bereits getan werde. Papier sei bekanntlich geduldig und diene meistens dazu, Ordner zu füllen, die in einem Schrank verschwinden. Die praktische Arbeit, die gegen die real in Deutschland existierende Armut gemacht werden müsse, könne nur von engagierten Menschen gemacht werden. Solche Menschen säßen im Jugendhilfe- und im Sozialausschuss, nämlich die Vertreter der Organisationen, die direkt mit der Bekämpfung der Armut oder deren Auswüchsen zu tun haben, wie Sozialverbände und Bildungseinrichtungen. Diese arbeiteten gezielt an den Problemen, die die Armut den betroffenen Menschen bereite, indem sie Strategien entwickelten. Sie finden in der Regel offene Ohren bei den Ratsmitgliedern, so dass gemeinsam Lösungen erarbeitet würden. Was man nicht brauche, seien noch mehr Papiere. Armut müsse nicht verwaltet, sondern bekämpft werden. Es sei deutlich geworden, wie schwierig Armut zu definieren sei. Zur Armut gehöre nicht nur eine finanzielle Armut, sondern auch soziale Armut oder Armut an Bildung. Auf diesen Gebieten sei man in Lüneburg bei der Bekämpfung der Armut tätig.

 

Erster Stadtrat KOCH führt aus, dass die Verwaltung die Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht beantworten werde. Es sei bereits im Juni gesagt worden, dass der Umfang des Fragenkataloges eine Beantwortung in zumutbarer Zeit nicht erlaube. Bei dem derzeitigen Personalbestand sei eine Beantwortung sogar schlicht unmöglich. Zudem könne der schon mehrfach diskutierte und stets abgelehnte Wunsch nach einer Armuts- oder Sozialberichterstattung nicht durch eine Anfrage unterlaufen werden, die im Falle einer fachgerechten Beantwortung letztendlich eine Sozialberichterstattung darstelle. Die aufgeworfenen Fragen beträfen auch nur zu einem geringen Teil Angelegenheiten der Stadt Lüneburg, die in der örtlichen Zuständigkeit und Kompetenz liegen. Über solche Fragen könne man sich eine politische Meinung bilden und diskutieren, nicht jedoch unter Inanspruchnahme von Mitteln der Verwaltung.

Inhaltlich könne er folgende Auskünfte geben: Am Vortag habe der Sozialausschuss des Niedersächsischen Städtetages getagt, dort sei vom Sozialministerium ein Modell vorgestellt worden zur so genannten ‚handlungsorientierten Sozialberichterstattung’. Sinn einer solchen Berichterstattung sei es, keine weiteren Datenfriedhöfe zu erzeugen, sondern nur das zu erfassen, worauf man selbst Einfluss habe, um sich zu vergewissern, dass die eigenen Handlungsansätze richtig seien und die anzusprechenden Zielgruppen erreichten. Insofern habe man in Lüneburg keine Erkenntnisdefizite. Er erinnere an die Diskussion über die Notwendigkeit einer Einschulungsbeihilfe, weil in den Regelsätzen kein Ansatz beispielsweise für Hefte und Schreibzeug vorgesehen sei. Mit großer Mehrheit habe man daraufhin den Entschluss gefasst, überbrückungsweise eine kommunale Beihilfe bereit zu stellen, bis es eine bundesgesetzliche Regelung gebe. Die Zahl der betroffenen Kinder erfahre man durch eine einfache Nachfrage bei den Schulen, welche Kinder von der Lernmittelfreiheit betroffen sind. Sobald also ein Bedarf irgendwo vermutet werde, werde die Notwendigkeit schnell und unproblematisch geprüft und die erforderlichen Schritte eingeleitet. Dazu brauche man keine aufwändig zu erzeugende Sozialberichterstattung, die natürlich auch stets aktuell gehalten werden müsste.

In einigen Teilbereichen sei die Stadt verpflichtet, Berichte zu erzeugen. So sei in einem langen und fruchtbaren Prozess eine Jugendhilfeplanung erstellt worden, die nicht nur eine Bestandsaufnahme aller Dienstleistungen und Angebote darstelle, sondern eine soziodemographische Betrachtung der Kinder und Jugendlichen. Auch in der letzten Sitzung des Sozialausschusses habe man sich mit Fragen des Mittagstisches für Bedürftige beschäftigt und in diesem Zusammenhang mit der Tafel und anderen Anbietern gesprochen.

Er betone, dass das Problem der Armut in Lüneburg nicht verdrängt oder verleugnet, sondern adäquat darauf eingegangen und gehandelt werde.

Die meisten Begriffsdefinitionen für Armut seien relativer Art, beträfen also das Abweichen von einem Durchschnittseinkommen. Erhöhe sich das Durchschnittseinkommen in Deutschland, steige automatisch auch die Armutsquote. Die Thematik der Ungleichverteilung des Geldes sei mehrfach im Sozialausschuss diskutiert worden mit dem Ergebnis, dass man dieser Verteilung nur in engen Grenzen durch freiwillige Leistungen begegnen könne.

Man könnte die Armutsquote in Lüneburg steuern und sofort senken, indem man den Zuzug geringer verdienender Menschen in die Stadt – beispielsweise durch die ausschließliche Zulassung teurer Neubaugebiete – verhindere. Das sei jedoch noch nie die Politik der Stadt Lüneburg gewesen. Die gesamte Stadtentwicklungspolitik sei von jeher darauf ausgerichtet, die Stadt lebenswert für Menschen jeden Alters, jeder Herkunft und jeden Einkommens zu machen und diese in Lüneburg willkommen zu heißen.

Die Erstellung einer exakten Berichterstattung führe auch nicht automatisch zu richtigen und rationalen Entscheidungen. Seit zehn Jahren sei bekannt, dass Bildung eine wesentliche Voraussetzung für soziale Teilhabe sei und trotzdem gebe es in Niedersachsen noch immer kein staatlich geordnetes System des zweiten Bildungsweges. Wer einmal den Hauptschulabschluss verpasst habe, sei auf sich allein gestellt, es sei denn, es gibt – wie in Lüneburg – eine Nachholmöglichkeit aufgrund des freiwilligen Entschlusses der Kommune und einer Volkshochschule. In vielen kleineren Gemeinden gebe es so etwas jedoch nicht.

Einige Städte und Gemeinden setzten sich sozusagen an die Spitze der Bewegung, indem sie, wie die Stadt Göttingen, einen ‚Masterplan Kinderarmut’ erstellen. Dabei sei eine weit überproportionale Quote an Kinderarmut festgestellt worden. Bei näherer Betrachtung der Einzelschicksale stellte sich heraus, dass dieser Wert beispielsweise durch die hohe Zahl von Studierenden mit kleinen Kindern ganz erheblich beeinflusst wurde. Demgegenüber stehe in Göttingen eine Vielzahl sozialer Unterstützungsangebote speziell für diesen Personenkreis, was in einer solchen, rein statistischen Betrachtung jedoch nicht deutlich werde. Dies werfe die Frage auf, wie sinnvoll eine solche abstrakte Sozialberichterstattung sei.

In Lüneburg habe man parteiübergreifend sehr vernünftige und pragmatische Wege zur Bekämpfung von Armut gefunden, um für eine sozial gerechte Infrastruktur zu sorgen.

 

Ratsherr KROLL merkt an, dass Armut von Kindern nicht von Gott gewollt und auch nicht gegeben sei. Er wolle an dieser Stelle auf einige Ursachen von Armut eingehen. Viele Kinder werden in die Armut hinein geboren, weil die Mütter allein erziehend, die Eltern arbeitslos oder nicht in der Lage sind, mit Geld umzugehen oder Kindern ein gesundes Mittagessen zu bereiten. Man erkenne dies nicht zuletzt am Inhalt der gelben Säcke, die bisweilen ausschließlich mit leeren Konservendosen gefüllt seien. Wer sich nur von Konserven ernähre, lebe teuer und ungesund und gleite langsam in die Armut.

Der Vorwurf von Frau Landesbischöfin Käßmann zum Versagen des Staates, weil Kinder mit hungrigem Magen oder ohne ordentliche Schuhe die Schule besuchten, sei leichtfertig ausgesprochen und unbegründet. Man dürfe nicht dem Staat die gesamte Verantwortung aufbürden. Trennten sich Partner, so gerate oft ein Elternteil – meistens die Mutter – gemeinsam mit den Kindern in Armut. Was solle der Staat dagegen tun, wenn Eltern sich etwa weigerten, ihren Kindern ein geregeltes Frühstück oder ein Schulbrot zuzubereiten ? Viele Kinder würden sich selbst überlassen, weil die Eltern sich nicht um sie kümmerten. Oft liege es nicht am fehlenden Geld, sondern an der Bequemlichkeit der Eltern, dass die Kinder dem Anschein der Armut ausgesetzt werden. Elternpflichten würden heutzutage klein geschrieben.

Vor dreißig Jahren habe es geheißen, das Bruttosozialprodukt in Deutschland werde auf zweierlei Weise erarbeitet, einmal durch die Arbeit und einmal in der Familie. Woran liege es, dass junge Leute heute oft nicht ausbildungsfähig sind ? Doch nicht allein an den Schulen, sondern auch an den Familien, aus denen sie kommen. Ein Problem der Gesellschaft sei die Überschuldung, wer arm sei müsse aber nicht automatisch überschuldet sein. Wer jedoch überschuldet sei, liege am Rande der Armut. Dies treffe heute bereits auf etwa drei Millionen Haushalte zu. Durch die Gesetzgebung der letzten Jahre seien die Hindernisse für riskante Kreditaufnahmen unnötig abgesenkt worden. So sei die bis dahin dreißigjährige Verjährungsfrist titulierter Forderungen auf sechs Jahre verkürzt und die Pfändungsfreigrenze auf neunhundert Euro angehoben worden. Mit diesen und weiteren Schutzmaßnahmen werde Schuldnern Tür und Tor zum Missbrauch geöffnet und der Weg in die Armut geebnet.

 

Beigeordneter BLANCK möchte die Vorwürfe von Herrn Kroll so keinesfalls stehen lassen. Es könne nicht angehen, sich hier hinzustellen und Leuten vorzuwerfen, vorsätzlich ihre Armut herbeizuführen. Wer den Leuten zudem vorwerfe, sich aus Konserven zu ernähren, müsse sich die Mühe machen, erst einmal die Realität zur Kenntnis zu nehmen: Dosen seien nun einmal deutlich günstiger als frisches Gemüse und Obst, welches sich viele Menschen eben nicht mehr leisten könnten. Dieses sei der wahre Grund für mit Konservendosen gefüllte gelbe Säcke.

 

Ratsherr VON MANSBERG findet in der hier geführten Debatte exakt wieder, was die Diskussion so schwierig mache. Es bringe nichts, Armut von Tisch zu reden, es bringe aber auch nichts, Armut zu instrumentalisieren, um ein bestimmtes politisches Ziel zu verfolgen. Einzig tätig zu werden, bringe die Bekämpfung von Armut voran. Den Ausführungen von Herrn Koch darüber, was eine Kommune wie Lüneburg tun könne, um diesem schwierigen Thema entgegen zu treten, sei nichts hinzuzufügen. Alles andere sei völlig überflüssig.

Beschluss:

Beschluss:

 

Der Rat der Hansestadt Lüneburg lehnt den Antrag mehrheitlich mit den Stimmen der Gruppe SPD/CDU und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE ab.

 

(5, V)