Bürgerinformationssystem
Beratungsinhalt: Beigeordneter DÖRBAUM bedauert die Aufhebung des niedersächsischen
Vergabegesetzes durch den Europäischen Gerichtshof. Es werde sehr schnell wieder eine solche
Regelung benötigt, da die Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine
große Rolle spiele und sich exzellent bewährt habe. Er sehe Probleme kommen,
wenn die Tariftreueerklärung nicht mehr abgegeben werden müsse, da der Schutz
der kleineren und mittleren Unternehmen vor Ort nicht mehr zu gewährleisten
sei. Auf diesem Wege entstehe im Handwerker- und Unternehmerbereich eine
Billiglohnkonkurrenz, dem Lohndumping werde Tür und Tor geöffnet. Sehe man sich
die Vergaben aus den Bauausschusssitzungen an, erkenne man, dass seit 2002
durch die bisherige Regelung 30 bis 40 % der Aufträge in der Region gehalten
werden konnten, dazu gingen weitere 30 bis 40 % an Firmen in Niedersachsen. Er
sei überzeugt, dass die kleinen und mittleren Unternehmen vor Ort redlich und
trotz der notwendigen Lohnkosten konkurrenzfähig seien. Er plädiere daher
dafür, heute der Resolution zuzustimmen, um an den Gesetzgeber zu appellieren,
die Tariftreue europafest zu regeln. Es gebe jetzt zudem die Gelegenheit,
einige der bürokratischen Hürden aus den Vergabeverfahren herauszunehmen, um
etwa die Vergabe in kleineren Losen durch beschränkte Ausschreibungen im
regionalen Bereich zu vereinfachen. Ratsherr POLS geht kurz auf den Inhalt des Urteils ein. Das Urteil werde
zur Folge haben, dass Firmen, die ihre Mitarbeiter nach Tariflöhnen oder sogar
höher bezahlen, bei öffentlichen Ausschreibungen nicht mehr mithalten können.
Der Handwerksmeister oder Mittelständler sei hinsichtlich seiner Lohnkosten
gegenüber den Billiglohnunternehmen nicht mehr geschützt. Folglich müsse er
seine Mitarbeiter deutlich unter Tarif bezahlen, oder er müsse sich, wie
vielfach von großen Unternehmen praktiziert, Subunternehmern aus dem Ausland
bedienen, was jedoch für einen Handwerksmeister aus der Region beinahe
ausgeschlossen sei. Beides könne nicht im Interesse der Stadt sein. Neben der
Tariftreue gebe es auch andere Regeln, wie etwa das Gebot der
Wirtschaftlichkeit, auch bekannt als 10%-Erlass. Dieser sehe vor, dass
Angebote, die um mindestens 10% niedriger liegen als die Übrigen, automatisch
ausscheiden. Möglicherweise könne man durch diesen Passus die Bauwirtschaft
wirkungsvoll vor Verzerrungen am Markt schützen. Man bitte die
Landtagsabgeordneten dieser Region, sich dafür einzusetzen, dass zum Schutz der
betroffenen Berufsgruppen schnellstens konkrete Gespräche über
Nachfolgeregelungen geführt und diese umgesetzt werden. Ratsherr POLSTER geht auf den konkreten Fall ein, der zum Urteil des
Europäischen Gerichtshofes geführt habe. Es ging dabei um den Bau der JVA
Göttingen-Rosdorf, bei dem der Ausschreibungssieger ein Subunternehmen aus
Polen eingesetzt habe, welches die Tariftreueerklärung nicht einhielt. Fraglich
sei im gerichtlichen Streitverfahren gewesen, ob die Tariftreueerklärung mit
Artikel 49 des EG-Vertrages vereinbar sei. Der EU-Gerichtshof habe zwei
Hauptkritikpunkte festgestellt: Zum einen wurde der hier zugrunde liegende
Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt. Zum anderen gelte das
Landesvergabegesetz nur für öffentliche, nicht jedoch für private Vergaben.
Dieses Urteil müsse man ernst nehmen, wie es die Landesregierung in
Rheinland-Pfalz durch die Einbringung eines Entschließungsantrages in den
Bundesrat getan habe. Diesem Antrag haben sich die Länder Berlin und Bremen
angeschlossen, allerdings wurde der Antrag – auch mit der Stimme
Niedersachsens – inzwischen abgelehnt. Inhalt des Antrages war die
Aufforderung an die Bundesregierung zu einer Gesetzesinitiative, um künftig
Mindestentgeltstandards bei öffentlichen Auftragsvergaben gewährleisten zu
können. Hier sei der Mindestlohn als Lösungsvorschlag thematisiert worden. Eine
Mindestlohnlösung scheine auch ihm der einzig gangbare Weg zu sein. Es sei
sinnvoll, einen solchen Mindestlohn branchen- und regionsbezogen festzulegen.
Wo es möglich sei, sollte man auf bestehende Tarifverträge zurückgreifen und
sie in einem vereinfachten System für allgemeinverbindlich erklären. Ein
Alleingang des Landes Niedersachsen könne hingegen nicht angehen, die EU gebe
eine schnelle Auffanglösung vor, die Landesregierung jedoch mache im Bundesrat
das genaue Gegenteil. Wie könne die CDU ihr Verhalten gegenüber der Baubranche
rechtfertigen ? Im Wirtschaftsausschuss des Landtages am vergangenen Freitag
habe das Wirtschaftsministerium die Entscheidung des europäischen Gerichtshofes
dazu missbraucht, das Landesvergabegesetz einfach mal so wegzuwischen. Das sei
ein Skandal und nicht im Interesse der Baubranche und der Gewerkschaften. Die
Neuregelung des Vergaberechts dürfe nicht zu einem Schnellschuss werden, es
müsse vielmehr im gesamten Bundesgebiet europafest geregelt werden, daher habe
seine Fraktion den Änderungsantrag gestellt. Wer dem Ziel des Antrages der
Gruppe SPD/CDU gerecht werden wolle, müsse auch für den Änderungsantrag
stimmen. Beigeordnete SCHELLMANN findet es bemerkenswert, dass sich der Lüneburger
Stadtrat aus seiner Froschperspektive heraus als Gesetzgeber betätigen wolle.
Allerdings sei es völlig richtig, den Gesetzgeber darauf hinzuweisen, dass hier
dringender Handlungsbedarf bestehe. Es könne nicht angehen, dass die heimische
Wirtschaft bei der Vergabe öffentlicher Aufträge chancenlos sei und
herausfalle, weil sie sich an Tarife halte. Wie die gesetzliche Lösung
auszusehen habe, sei eine ganz komplizierte Frage, die ein sehr differenziertes
Vorgehen erfordere. Sie sehe den Stadtrat trotz aller Bemühungen außer Stande,
die Dinge so zu beleuchten, dass man am Ende zu einer tragfähigen und
gesetzlich haltbaren Lösung ohne unerwünschte Nebeneffekte komme. Sie sei daher
der Meinung, den Gesetzgeber zwar dringend zur Handlung aufzufordern, ihn aber
nicht dadurch einzuengen, dass man ihm Vorgaben für sein Verhalten mache. Ratsherr RIECHEY kann sich über die SPD derzeit nur wundern, deren
Verhältnis zum Mindestlohn sei offenbar schwieriger als ihr Verhältnis zu
Linken. Seine Fraktion begrüße, dass sich die Gruppe SPD/CDU mit ihrem Antrag
um das Vergabegesetz bemühe, nachdem der Antrag der Linken zum Mindestlohn bei
der Vergabe öffentlicher Aufträge erst kürzlich abgelehnt worden sei.
Zwischenzeitlich sei das Urteil des europäischen Gerichtshofes ergangen,
welches auf das Schärfste zu kritisieren sei. Der niedersächsische
Finanzminister habe am 3.April lapidar erklärt, dass ab sofort bei der Vergabe
von Aufträgen keinerlei Tariftreue mehr verlangt werde. Die Landesregierung dürfe
die Entscheidung jedoch nicht einfach akzeptieren, sie müsse Alternativen
entwickeln, um das EU-Urteil umzusetzen. Einem Appell an die politisch
Verantwortlichen in den Parlamenten in Brüssel, Berlin und Hannover schließe
sich die Linke natürlich an, er werte dies auch als Bestätigung der politischen
Linie seiner Fraktion. Mit den Gewerkschaften, den kleinen und mittleren
heimischen Unternehmen und den Handwerkern sei man sich einig in dem Ziel, dass
nicht in Brüssel sondern in Niedersachsen bestimmt werde, an wen und zu welchen
Bedingungen öffentliche Aufträge vergeben werden. Es lohne sich, den genauen
Text des Urteils anzusehen. Dort werde bereits eine Lösungsrichtung durch den
Verweis auf einen im Vergabegesetz fehlenden klar definierten Mindestlohnsatz
für die Vergabe öffentlicher Aufträge als tatsächlicher Schwachstelle des
bisherigen Vergabegesetzes aufgezeigt. Dies könne durch den Antrag einer
Landtagsfraktion geheilt werden. An einem solchen Mindestlohnsatz könne sich
jeder orientieren, der in Niedersachsen öffentliche Aufträge erhalten wolle.
Durch eine solche Regelung würde das Gesetz vereinfacht und verallgemeinert und
damit gegenüber der Rechtsauffassung des europäischen Gerichtshofes
anfechtungsresistenter werden. Die Urteilsbegründung schließe explizit nicht
aus, dass eine solche Gesetzesnorm auf Landesebene erfolgen könne. Das
Bundesverfassungsgericht habe entsprechende Regelungen im Berliner
Landesvergabegesetz vor zwei Jahren ebenfalls für rechtmäßig erklärt. Die Linke
lasse das Aushebeln des Sozialstaatsgebotes des Grundgesetzes durch niemanden
zu. Er warne die Landesregierung vor Schnellschüssen, die zum Abbau von
Sozialstandards führen. Dagegen unterstütze seine Fraktion jeden Antrag, der
eine europafeste Version des Vergabegesetzes zum Ziel habe, insbesondere den
Änderungsantrag der Grünen, da dort der Mindestlohn berücksichtigt werde. Ratsherr MEIHSIES stellt fest, dass der Rat dort am meisten diskutiere, wo er
am wenigsten zu entscheiden habe. Es sei bemerkenswert, dass die CDU im Rat eine
Resolution an die Landesregierung gemeinsam mit der SPD trage und der Kollege
Althusmann an dieser Stelle dazu schweige, obwohl er das schlechte Gesetz mit
beschlossen habe. Er warte auf ein Signal, dass Herr Althusmann aus der
Landesregierung heraus das Gesetz ändern wolle. Wie könne die CDU, die ein
schlechtes Gesetz in Niedersachsen mache, hier im Rat so mir nichts, dir nichts
eine Resolution einbringen, ohne Selbstkritik zu üben ? Wie könne Herr
Althusmann als parlamentarischer Geschäftsführer schweigen, wenn sein
Wirtschaftsminister alles andere tue als das, was in dieser gemeinsamen
Resolution gefordert werde. Dazu müsse mal ein Wort gesagt werden. Beigeordneter BLANCK weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. Herr Dörbaum
spreche mit viel Pathos von Mindestlohn, während er erlebe, wie Herr Srugis im
Wirtschaftsausschuss dasitze und sich jedes Mal freue, wenn man in den
Jahresrechnungen feststelle, dass man die Tariftreue umgehe, indem die
städtischen Gesellschaften Betriebe gründeten, die nicht nach Tarif zahlen
müssen. Es sei doch eine sehr schwierige Position, sich hinzustellen und im
Vergaberecht von allen anderen die Tariftreue zu fordern, die man selbst nicht
einhalte. Im Hamburger Abendblatt habe hierzu kürzlich ein interessanter
Artikel gestanden, wie die GfA versuche, ihre Finanzprobleme zu lösen. Er
erkenne das politische Unbehagen, jetzt eine solche Resolution unter Einbindung
der örtlichen CDU auf den Weg zu bringen, womit man den Kollegen Althusmann in
Schwierigkeiten bringe. Er erinnere zudem daran, dass die SPD drei Tage nach
der Landtagswahl meinte, einer Resolution zum gesetzlichen Mindestlohn nicht
zustimmen zu müssen, obwohl man dies zuvor im Landtagswahlkampf noch propagiert
habe. Zur politischen Glaubwürdigkeit solle die SPD sich daher doch besser
überhaupt nicht mehr äußern. Ratsherr SRUGIS verwahrt sich gegen die Vorwürfe des Beigeordneten Blanck.
Alle Gesellschaften, die die Stadt Lüneburg gegründet habe, zahlten Tariflöhne,
dass müsse hier klargestellt werden. Herr Blanck wisse sehr gut, warum man
diese Gesellschaften gegründet habe, um nämlich bezüglich der Daseinsvorsorge
für die Bürger die Leistungen erschwinglich zu halten. Man habe seit Jahren
Gebührenkonstanz, darauf könne man stolz sein und so solle es auch bleiben. Oberbürgermeister MÄDGE weist darauf hin, dass man Tochtergesellschaften
stets in Übereinstimmung mit der Gewerkschaft ver.di gegründet habe. In dem vor
drei Jahren abgeschlossenen TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) sei
eine Absenkung der Eingangsstufe auf einen „Mindestlohn“ vereinbart
worden, der genau der Tarifstufe entspreche, die man bei der DIENLOG oder im
Krankenhaus anwende. Die Einführung dieser Leichtlohngruppe sei zwischen dem
Arbeitgeberverband und ver.di vereinbart worden, um umfangreiche
Ausgliederungen zu verhindern. Das Vorgehen sei auch hier vor Ort mit ver.di
abgesprochen und landesweit gelobt worden. Ohne die DIENLOG hätte man es nicht
geschafft, die Müllabfuhr des Landkreises wieder kommunal zu betreiben und
vernünftig entlohnte Arbeitsplätze zu sichern. Beschluss: Der
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird mehrheitlich abgelehnt
bei 8 Ja-Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE gegen
die Stimmen der Gruppe SPD/CDU und der FDP-Fraktion. Der Rat
der Hansestadt Lüneburg beschließt mehrheitlich mit den Stimmen der Gruppe
SPD/CDU, der FDP-Fraktion, der Fraktion DIE LINKE sowie Teilen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei 5 Enthaltungen aus den Reihen der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen die beantragte Resolution. (01) |
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