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Auszug - Vergabegesetz neu regeln - Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen sichern (Antrag der Gruppe SPD/CDU vom 22.04.2008)  

 
 
Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Rates der Hansestadt Lüneburg
TOP: Ö 7.1
Gremium: Rat der Hansestadt Lüneburg Beschlussart: ungeändert beschlossen
Datum: Do, 29.05.2008    
Zeit: 17:00 - 20:00 Anlass: Sitzung
Raum: Huldigungssaal
Ort: Rathaus
VO/2854/08 Vergabegesetz neu regeln - Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen sichern (Antrag der Gruppe SPD/CDU vom 22.04.2008 mit Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 22.05.2008)
   
 
Status:öffentlichVorlage-Art:Antrag der Gruppe SPD/CDU
Federführend:01 - Büro der Oberbürgermeisterin Beteiligt:06 - Bauverwaltung
Bearbeiter/-in: Gieseking, Stefan   
 
Wortprotokoll
Beschluss

Beratungsinhalt:

 

Beratungsinhalt:

 

Beigeordneter DÖRBAUM bedauert die Aufhebung des niedersächsischen Vergabegesetzes durch den Europäischen Gerichtshof.  Es werde sehr schnell wieder eine solche Regelung benötigt, da die Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine große Rolle spiele und sich exzellent bewährt habe. Er sehe Probleme kommen, wenn die Tariftreueerklärung nicht mehr abgegeben werden müsse, da der Schutz der kleineren und mittleren Unternehmen vor Ort nicht mehr zu gewährleisten sei. Auf diesem Wege entstehe im Handwerker- und Unternehmerbereich eine Billiglohnkonkurrenz, dem Lohndumping werde Tür und Tor geöffnet. Sehe man sich die Vergaben aus den Bauausschusssitzungen an, erkenne man, dass seit 2002 durch die bisherige Regelung 30 bis 40 % der Aufträge in der Region gehalten werden konnten, dazu gingen weitere 30 bis 40 % an Firmen in Niedersachsen. Er sei überzeugt, dass die kleinen und mittleren Unternehmen vor Ort redlich und trotz der notwendigen Lohnkosten konkurrenzfähig seien. Er plädiere daher dafür, heute der Resolution zuzustimmen, um an den Gesetzgeber zu appellieren, die Tariftreue europafest zu regeln. Es gebe jetzt zudem die Gelegenheit, einige der bürokratischen Hürden aus den Vergabeverfahren herauszunehmen, um etwa die Vergabe in kleineren Losen durch beschränkte Ausschreibungen im regionalen Bereich zu vereinfachen.

 

Ratsherr POLS geht kurz auf den Inhalt des Urteils ein. Das Urteil werde zur Folge haben, dass Firmen, die ihre Mitarbeiter nach Tariflöhnen oder sogar höher bezahlen, bei öffentlichen Ausschreibungen nicht mehr mithalten können. Der Handwerksmeister oder Mittelständler sei hinsichtlich seiner Lohnkosten gegenüber den Billiglohnunternehmen nicht mehr geschützt. Folglich müsse er seine Mitarbeiter deutlich unter Tarif bezahlen, oder er müsse sich, wie vielfach von großen Unternehmen praktiziert, Subunternehmern aus dem Ausland bedienen, was jedoch für einen Handwerksmeister aus der Region beinahe ausgeschlossen sei. Beides könne nicht im Interesse der Stadt sein. Neben der Tariftreue gebe es auch andere Regeln, wie etwa das Gebot der Wirtschaftlichkeit, auch bekannt als 10%-Erlass. Dieser sehe vor, dass Angebote, die um mindestens 10% niedriger liegen als die Übrigen, automatisch ausscheiden. Möglicherweise könne man durch diesen Passus die Bauwirtschaft wirkungsvoll vor Verzerrungen am Markt schützen. Man bitte die Landtagsabgeordneten dieser Region, sich dafür einzusetzen, dass zum Schutz der betroffenen Berufsgruppen schnellstens konkrete Gespräche über Nachfolgeregelungen geführt und diese umgesetzt werden.

 

Ratsherr POLSTER geht auf den konkreten Fall ein, der zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes geführt habe. Es ging dabei um den Bau der JVA Göttingen-Rosdorf, bei dem der Ausschreibungssieger ein Subunternehmen aus Polen eingesetzt habe, welches die Tariftreueerklärung nicht einhielt. Fraglich sei im gerichtlichen Streitverfahren gewesen, ob die Tariftreueerklärung mit Artikel 49 des EG-Vertrages vereinbar sei. Der EU-Gerichtshof habe zwei Hauptkritikpunkte festgestellt: Zum einen wurde der hier zugrunde liegende Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt. Zum anderen gelte das Landesvergabegesetz nur für öffentliche, nicht jedoch für private Vergaben. Dieses Urteil müsse man ernst nehmen, wie es die Landesregierung in Rheinland-Pfalz durch die Einbringung eines Entschließungsantrages in den Bundesrat getan habe. Diesem Antrag haben sich die Länder Berlin und Bremen angeschlossen, allerdings wurde der Antrag – auch mit der Stimme Niedersachsens – inzwischen abgelehnt. Inhalt des Antrages war die Aufforderung an die Bundesregierung zu einer Gesetzesinitiative, um künftig Mindestentgeltstandards bei öffentlichen Auftragsvergaben gewährleisten zu können. Hier sei der Mindestlohn als Lösungsvorschlag thematisiert worden. Eine Mindestlohnlösung scheine auch ihm der einzig gangbare Weg zu sein. Es sei sinnvoll, einen solchen Mindestlohn branchen- und regionsbezogen festzulegen. Wo es möglich sei, sollte man auf bestehende Tarifverträge zurückgreifen und sie in einem vereinfachten System für allgemeinverbindlich erklären. Ein Alleingang des Landes Niedersachsen könne hingegen nicht angehen, die EU gebe eine schnelle Auffanglösung vor, die Landesregierung jedoch mache im Bundesrat das genaue Gegenteil. Wie könne die CDU ihr Verhalten gegenüber der Baubranche rechtfertigen ?

Im Wirtschaftsausschuss des Landtages am vergangenen Freitag habe das Wirtschaftsministerium die Entscheidung des europäischen Gerichtshofes dazu missbraucht, das Landesvergabegesetz einfach mal so wegzuwischen. Das sei ein Skandal und nicht im Interesse der Baubranche und der Gewerkschaften. Die Neuregelung des Vergaberechts dürfe nicht zu einem Schnellschuss werden, es müsse vielmehr im gesamten Bundesgebiet europafest geregelt werden, daher habe seine Fraktion den Änderungsantrag gestellt. Wer dem Ziel des Antrages der Gruppe SPD/CDU gerecht werden wolle, müsse auch für den Änderungsantrag stimmen.

 

Beigeordnete SCHELLMANN findet es bemerkenswert, dass sich der Lüneburger Stadtrat aus seiner Froschperspektive heraus als Gesetzgeber betätigen wolle. Allerdings sei es völlig richtig, den Gesetzgeber darauf hinzuweisen, dass hier dringender Handlungsbedarf bestehe. Es könne nicht angehen, dass die heimische Wirtschaft bei der Vergabe öffentlicher Aufträge chancenlos sei und herausfalle, weil sie sich an Tarife halte. Wie die gesetzliche Lösung auszusehen habe, sei eine ganz komplizierte Frage, die ein sehr differenziertes Vorgehen erfordere. Sie sehe den Stadtrat trotz aller Bemühungen außer Stande, die Dinge so zu beleuchten, dass man am Ende zu einer tragfähigen und gesetzlich haltbaren Lösung ohne unerwünschte Nebeneffekte komme. Sie sei daher der Meinung, den Gesetzgeber zwar dringend zur Handlung aufzufordern, ihn aber nicht dadurch einzuengen, dass man ihm Vorgaben für sein Verhalten mache.

 

Ratsherr RIECHEY kann sich über die SPD derzeit nur wundern, deren Verhältnis zum Mindestlohn sei offenbar schwieriger als ihr Verhältnis zu Linken. Seine Fraktion begrüße, dass sich die Gruppe SPD/CDU mit ihrem Antrag um das Vergabegesetz bemühe, nachdem der Antrag der Linken zum Mindestlohn bei der Vergabe öffentlicher Aufträge erst kürzlich abgelehnt worden sei. Zwischenzeitlich sei das Urteil des europäischen Gerichtshofes ergangen, welches auf das Schärfste zu kritisieren sei. Der niedersächsische Finanzminister habe am 3.April lapidar erklärt, dass ab sofort bei der Vergabe von Aufträgen keinerlei Tariftreue mehr verlangt werde. Die Landesregierung dürfe die Entscheidung jedoch nicht einfach akzeptieren, sie müsse Alternativen entwickeln, um das EU-Urteil umzusetzen. Einem Appell an die politisch Verantwortlichen in den Parlamenten in Brüssel, Berlin und Hannover schließe sich die Linke natürlich an, er werte dies auch als Bestätigung der politischen Linie seiner Fraktion. Mit den Gewerkschaften, den kleinen und mittleren heimischen Unternehmen und den Handwerkern sei man sich einig in dem Ziel, dass nicht in Brüssel sondern in Niedersachsen bestimmt werde, an wen und zu welchen Bedingungen öffentliche Aufträge vergeben werden. Es lohne sich, den genauen Text des Urteils anzusehen. Dort werde bereits eine Lösungsrichtung durch den Verweis auf einen im Vergabegesetz fehlenden klar definierten Mindestlohnsatz für die Vergabe öffentlicher Aufträge als tatsächlicher Schwachstelle des bisherigen Vergabegesetzes aufgezeigt. Dies könne durch den Antrag einer Landtagsfraktion geheilt werden. An einem solchen Mindestlohnsatz könne sich jeder orientieren, der in Niedersachsen öffentliche Aufträge erhalten wolle. Durch eine solche Regelung würde das Gesetz vereinfacht und verallgemeinert und damit gegenüber der Rechtsauffassung des europäischen Gerichtshofes anfechtungsresistenter werden. Die Urteilsbegründung schließe explizit nicht aus, dass eine solche Gesetzesnorm auf Landesebene erfolgen könne. Das Bundesverfassungsgericht habe entsprechende Regelungen im Berliner Landesvergabegesetz vor zwei Jahren ebenfalls für rechtmäßig erklärt. Die Linke lasse das Aushebeln des Sozialstaatsgebotes des Grundgesetzes durch niemanden zu. Er warne die Landesregierung vor Schnellschüssen, die zum Abbau von Sozialstandards führen. Dagegen unterstütze seine Fraktion jeden Antrag, der eine europafeste Version des Vergabegesetzes zum Ziel habe, insbesondere den Änderungsantrag der Grünen, da dort der Mindestlohn berücksichtigt werde.

 

Ratsherr MEIHSIES stellt fest, dass der Rat dort am meisten diskutiere, wo er am wenigsten zu entscheiden habe. Es sei bemerkenswert, dass die CDU im Rat eine Resolution an die Landesregierung gemeinsam mit der SPD trage und der Kollege Althusmann an dieser Stelle dazu schweige, obwohl er das schlechte Gesetz mit beschlossen habe. Er warte auf ein Signal, dass Herr Althusmann aus der Landesregierung heraus das Gesetz ändern wolle. Wie könne die CDU, die ein schlechtes Gesetz in Niedersachsen mache, hier im Rat so mir nichts, dir nichts eine Resolution einbringen, ohne Selbstkritik zu üben ? Wie könne Herr Althusmann als parlamentarischer Geschäftsführer schweigen, wenn sein Wirtschaftsminister alles andere tue als das, was in dieser gemeinsamen Resolution gefordert werde. Dazu müsse mal ein Wort gesagt werden.

 

Beigeordneter BLANCK weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. Herr Dörbaum spreche mit viel Pathos von Mindestlohn, während er erlebe, wie Herr Srugis im Wirtschaftsausschuss dasitze und sich jedes Mal freue, wenn man in den Jahresrechnungen feststelle, dass man die Tariftreue umgehe, indem die städtischen Gesellschaften Betriebe gründeten, die nicht nach Tarif zahlen müssen. Es sei doch eine sehr schwierige Position, sich hinzustellen und im Vergaberecht von allen anderen die Tariftreue zu fordern, die man selbst nicht einhalte. Im Hamburger Abendblatt habe hierzu kürzlich ein interessanter Artikel gestanden, wie die GfA versuche, ihre Finanzprobleme zu lösen. Er erkenne das politische Unbehagen, jetzt eine solche Resolution unter Einbindung der örtlichen CDU auf den Weg zu bringen, womit man den Kollegen Althusmann in Schwierigkeiten bringe. Er erinnere zudem daran, dass die SPD drei Tage nach der Landtagswahl meinte, einer Resolution zum gesetzlichen Mindestlohn nicht zustimmen zu müssen, obwohl man dies zuvor im Landtagswahlkampf noch propagiert habe. Zur politischen Glaubwürdigkeit solle die SPD sich daher doch besser überhaupt nicht mehr äußern.

 

Ratsherr SRUGIS verwahrt sich gegen die Vorwürfe des Beigeordneten Blanck. Alle Gesellschaften, die die Stadt Lüneburg gegründet habe, zahlten Tariflöhne, dass müsse hier klargestellt werden. Herr Blanck wisse sehr gut, warum man diese Gesellschaften gegründet habe, um nämlich bezüglich der Daseinsvorsorge für die Bürger die Leistungen erschwinglich zu halten. Man habe seit Jahren Gebührenkonstanz, darauf könne man stolz sein und so solle es auch bleiben.

 

Oberbürgermeister MÄDGE weist darauf hin, dass man Tochtergesellschaften stets in Übereinstimmung mit der Gewerkschaft ver.di gegründet habe. In dem vor drei Jahren abgeschlossenen TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) sei eine Absenkung der Eingangsstufe auf einen „Mindestlohn“ vereinbart worden, der genau der Tarifstufe entspreche, die man bei der DIENLOG oder im Krankenhaus anwende. Die Einführung dieser Leichtlohngruppe sei zwischen dem Arbeitgeberverband und ver.di vereinbart worden, um umfangreiche Ausgliederungen zu verhindern. Das Vorgehen sei auch hier vor Ort mit ver.di abgesprochen und landesweit gelobt worden. Ohne die DIENLOG hätte man es nicht geschafft, die Müllabfuhr des Landkreises wieder kommunal zu betreiben und vernünftig entlohnte Arbeitsplätze zu sichern.

 

Beschluss:

Beschluss:

 

Der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird mehrheitlich abgelehnt bei 8 Ja-Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE gegen die Stimmen der Gruppe SPD/CDU  und der FDP-Fraktion.

 

Der Rat der Hansestadt Lüneburg beschließt mehrheitlich mit den Stimmen der Gruppe SPD/CDU, der FDP-Fraktion, der Fraktion DIE LINKE sowie Teilen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei 5 Enthaltungen aus den Reihen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die beantragte Resolution.

 

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