Bürgerinformationssystem
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Der Tagesordnungspunkt
wurde gemeinsam mit TOP 6.2 beraten. Beratungsinhalt: Ratsherr RIECHEY beantragt die gemeinsame Überweisung zusammen mit dem
Antrag zu TOP 6.2 in den Schulausschuss. Deutschland sei innerhalb der OECD das
Land, in dem der Bildungserfolg am stärksten von der sozialen Herkunft abhänge.
Anders gesagt gebe es kein anderes westliches Industrieland mit einem derart
ungerechten Bildungssystem wie in Deutschland. Hauptschüler kämen zumeist aus
klassisch bildungsfernen Schichten, während über 80 % der Gymnasiasten aus
höheren gesellschaftlichen Klassen stammten. Dies wolle man durch eine neue
Schulform ändern. Es gehe darum, eine integrierte Gesamtschule in Lüneburg zu
schaffen. Im Antrag habe man einen ersten Standortvorschlag gemacht als Auftakt
der Debatte, wobei sich inzwischen herausgestellt habe, dass die baulichen
Fördermittel am Kreideberg an das dortige Schulkonzept gebunden seien. Bei der
Standortsuche sei man aber offen, wichtiger sei es, heute zu zeigen, dass es
eine politische Mehrheit im Stadtrat für eine integrierte Gesamtschule in
Lüneburg gebe. Das halte er für möglich, da nicht nur seine Fraktion, sondern
auch die Grünen und die SPD sich im Landtagswahlkampf für eine integrierte
Gesamtschule ausgesprochen haben. Selbst die CDU habe erkannt, dass man sich
dem Wunsch vieler Eltern nicht länger verschließen könne. Eine
Unterschriftenaktion in 21 Grundschulen habe zu dem Ergebnis geführt, dass
Eltern von 316 Kindern ihre Kinder noch in diesem Sommer gerne an einer neuen
Gesamtschule anmelden würden, weitere 1600 Bürger haben sich in
Unterschriftenlisten für eine Gesamtschule ausgesprochen. Inzwischen haben sich
in Lüneburg der Verein „Eine Schule für Alle“ sowie die Initiative
„Sinn“ gegründet, auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
unterstütze die Forderung, da das gegliederte Schulsystem die Situation
verschärfe, dass Kinder armer Familien schlechtere Bildungschancen haben. Das
aktuelle Schulgutachten zeige auf, dass selbst bei einer Zusammenlegung von
Haupt- und Realschule zukünftig Leerstand entstehe, während die Gymnasien
überbelegt würden. Mit einer gemeinsamen Gesamtschule werde man den
Erfordernissen wesentlicher stärker gerecht. Überdies stehe im Gutachten, dass
eine Gesamtschule mit vier bis sechs Zügen die bestehenden Schulen nicht
gefährde. Angesichts dieser breiten Zustimmung aus allen Bereichen stelle sich
die Frage, was ernsthaft gegen eine integrierte Gesamtschule in Lüneburg
spreche. Im Schulausschuss könne man unter Mithilfe aller Beteiligten ein
geeignetes Konzept entwickeln und dadurch endlich einen Schritt weiter kommen. Bürgermeister DR.
SCHARF gibt zu Bedenken, dass dieses
Thema seit jeher in verschiedenen Variationen diskutiert werde. Gegenwärtig sei
es nach dem Schulgesetz aus dem Jahre 2004 nicht zulässig, neue Gesamtschulen
zu errichten. Im Herbst letzten Jahres habe Ministerpräsident Wulff die Aussage
gemacht, dass diese Vorschrift wahrscheinlich unter gewissen Voraussetzungen
gelockert werden solle, nach der aktuellen Regierungserklärung werde dieses
Verbot sogar aufgehoben. Die CDU-Fraktion im Stadtrat wolle nicht noch einmal
die unsägliche Strukturdiskussion der letzten zehn Jahre aufleben lassen, das
würde nichts anderes bedeuten, als sich erneut in den Ideologiegräben zu
verschanzen. Jedoch könnten auch Befürworter von Gesamtschulen in der ersten
Pisastudie ausdrücklich nachlesen, dass die Qualität von Schulen nicht von
deren Struktur abhänge, sondern vor allem von der inneren Organisation, dem
Schüler-Lehrer-Verhältnis und dem Schüler-Eltern-Verhältnis. Es gebe im Land
Niedersachsen durchaus hervorragend arbeitende Gesamtschulen, genauso wie man
hervorragend arbeitende Schulen im dreigliedrigen Schulsystem finde. Man wolle
Schule und Schüler stark machen, indem man in den Schulen darauf achte, dass
die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler erkannt, gefördert
und ausgebaut werden. Dazu brauche man motivierte Lehrer und angemessene
Klassenfrequenzen. Das gelte für jede Schulform. Zudem müssten die Lerninhalte
in den Schulen – besonders in den Gymnasien – entrümpelt werden.
Man könne nicht von dreizehn auf zwölf Schuljahre reduzieren ohne die Inhalte
anzupassen. Man dürfe die Schüler nicht nur mit Wissen voll stopfen, vielmehr
müsse zunehmend darauf geachtet werden, dass auch die emotionale Komponente
berücksichtigt wird, damit die Schüler am Nachmittag ihre sozialen Kontakte
vertiefen können. Auf diese drei Punkte komme es besonders an. Konkret für
Lüneburg heiße dies, keine Schnellschüsse zu machen, sondern die Ergebnisse des
Schulgutachtens exakt zu analysieren und zu überprüfen. Zudem müsse man
abwarten, welche Änderungen des Schulgesetzes die Landesregierung vornehme und
welche Voraussetzungen für Gesamtschulen es dann gebe. Es könne doch nicht
angehen, dass eine Initiative eine wilde Umfrage an Grundschulen durchführe,
das könne nicht die Basis für eine verantwortliche Schulpolitik sein. Dies
lasse sich nur durch eine klar strukturierte und überprüfbare Umfrage der
Landesschulbehörde sowie durch eine genaue Auswertung und Diskussion der
Ergebnisse des Schulgutachtens erreichen, mit dem Ziel des Erhalts möglichst
aller bestehenden Schulen und damit der Sicherung eines wohnortnahen
Schulangebotes. Danach sei zu prüfen, ob ein weiteres Angebot in Form einer
Gesamtschule möglich ist. Man müsse sich von der Vorstellung lösen, dass
Schüler schon alleine deshalb besser würden, indem man sie in eine andere Schulform
schicke. Lernen sei immer ein harter Prozess und erfordere eine große
Anstrengung, egal in welcher Schulform. Beigeordnete LOTZE unterstützt den Vorschlag der Überweisung beider
Anträge in den Schulausschuss. Deutschland sei bekanntlich ein ansonsten
rohstoffarmes Land, daher gelte es, den vorhandenen Rohstoff in den Köpfen so
gut wie möglich zu fördern. Die vorliegenden Untersuchungen belegten, dass das
vorhandene Schulsystem offenbar nicht in der Lage sei, diesen Rohstoff so gut
zu fördern, dass er optimal genutzt werden könne. Es gebe zu viele Schüler, die
die Schule ohne Abschluss verlassen und es gebe im Vergleich zu den
europäischen Nachbarn eine niedrige Abiturquote. Deutschland stehe mit seinem
Schulsystem im europäischen Vergleich ziemlich alleine da, auch Österreich, das
bisher ein vergleichbares System hatte, setze inzwischen ganz verstärkt auf
eine Umstellung hin zu einer gemeinsamen Schule. Es helfe nicht, eine
ideologische Debatte zu führen, man müsse sich vielmehr die Frage stellen, welches
die beste Lösung sei, um allen Kindern – gleich aus welcher
Herkunftsfamilie sie kommen – die besten Bildungschancen einzuräumen.
Hier gebe es unterschiedliche Auffassungen, einige Eltern und Politiker haben
eine hohe Wertschätzung für das bestehende Schulsystem, andere bevorzugten eine
gemeinsame Schule als neue Form. Richtig sei, dass man eine neue Angebotsschule
brauche, um jenen Eltern eine Perspektive zu geben, die diese Schulform für den
besseren Weg halten. Sie halte die genannte Unterschriftensammlung nicht für
eine wilde Aktion, sondern hier hätten sich Eltern dafür eingesetzt, etwas
Gutes für ihre Kinder zu erreichen, das müsse man honorieren. Korrekt sei aber
auch, dass § 12 des Schulgesetzes nach wie vor gelte, auch wenn in der
Regierungserklärung erneut gesagt wurde, dass etwas Neues kommen werde. So
lange aber nichts vorliege, könne man nur die vorliegenden Anträge in den
Schulausschuss verweisen und abwarten, was das Gesetz künftig aussage. Wichtig
sei für ihre Fraktion, dass eine gute Qualität Vorrang vor Schnelligkeit habe.
Realistisch müsse man davon ausgehen, dass eine Umsetzung erst im Jahre 2009
möglich sein werde. Denkbar sei es, dass der Landkreis Träger der Schule werde,
da es eine Angebotsschule für den gesamten Landkreis werden solle. Sie bitte
Herrn Althusmann, nach Hannover mitzunehmen, dass das Aufhebungsverbot allein
nicht ausreiche, um den gewünschten Erfolg zu bringen. Eine solche Schule müsse
ausreichend mit Lehrkräften und Mitteln ausgestattet werden, um vernünftigen
Unterricht zu gewährleisten. Ratsherr NOWAK verweist darauf, dass die SPD sehr schnell aus dem
Schulgutachten erkannt habe, dass man eine Gesamtschule brauche, während Herr
Dr. Scharf heute gesagt habe, dass man bei weitem noch nicht so weit sei. Hier
sollte sich die Mehrheitsgruppe im Rat doch einigen, ansonsten werde eine
Gesamtschule nicht 2009 realisiert, sondern wohl erst 2015. Was momentan in den
Hauptschulen passiere, sei für ihn im Grunde genommen das deutliche Zeichen,
das die schulpolitische Realität jetzt dort angekommen sei. An den Haupt- und
den Realschulen habe man keine kooperativen Systeme, diese liefen vielmehr
nebeneinander her und nicht zusammen. Ein Modell mit einfach nur gemeinsamem
Unterricht funktioniere nicht. Eine Lösung sei dringend notwendig auch für die
Gymnasialschüler, die zum Teil in Klassen bis zu 34 Schülern und in
Außenstellen unterrichtet würden und denen dadurch teilweise keine Fachräume
zur Verfügung stünden. Die Lösung unabhängig von jeder Ideologie sei eine
zusätzliche Schule, dies könne eine Gesamtschule sein. Die CDU dürfe nicht
wieder den Fehler machen, das Thema in die Warteschleife zu schieben. Er
erinnere daran, dass der Rat auch bei anderen Projekten – wie etwa der
Ganztagsschule – schon vor der abschließenden gesetzlichen Verankerung
voran gegangen sei und im Vorfeld alle Voraussetzungen geschaffen habe, um dann
bei der Antragstellung an erster Stelle zu stehen. Man dürfe schließlich nicht
erwarten, dass Lüneburg die einzige Stadt sein werde, die eine Gesamtschule beantragen
werde. Beigeordnete
SCHELLMANN merkt an, dass eine
Systemdebatte überflüssig sei, da sie nur Zeit und Kraft koste, dies hätten die
letzten Jahre gezeigt. Es werde eine Gesetzesänderung geben, da sie aber noch
nicht vorliege, solle man abwarten, um zu wissen, worauf man sich einlasse. Das
Schulgutachten bestätige, dass es durchaus einen Schulbedarf gebe, das müsse
aber nicht unbedingt in Lüneburg selbst sein, Schulen fehlten woanders. Daher
teile sie nicht die Meinung, dass man zur Realisierung einer Gesamtschule schon
jetzt in die Startlöcher gehen müsse. Es gebe keine gesicherten
Forschungsergebnisse, dass Kinder in einer Gesamtschule wirklich besser
gefördert würden als in anderen Schulformen. Wissenschaftliche Untersuchungen
besagten vielmehr, dass der soziale Chancenausgleich und individuelle
Bildungserfolge gerade in Einheitsschulen keineswegs besser gelängen. Nicht nur
leistungsstarke, auch leistungsschwächere Schüler profitierten danach von einer
ab dem fünften Jahrgang einsetzenden Differenzierung in drei getrennten
Bildungswegen. Ebenso sei wissenschaftlich bewiesen, dass die Behauptung, die
Leistungsüberlegenheit gemischter Lerngruppen sei vorteilhaft gegenüber
homogenen Gruppen, nicht zutreffe, auch wenn dies vielfach anders empfunden werde.
Ebenso werde oft behauptet, dass die Schuleignungsprognose nach der vierten
Grundschulklasse ebenso treffsicher wie nach der sechsten Klasse sei. Die immer
wieder abgelehnten Leistungskontrollen in den Grundschulen förderten –
allen entgegen gesetzten Auffassungen zum Trotz – die Lernfreude und
Lernmotivation. Der schulische Umgang mit Differenzierungsproblemen gelinge
nach diesen Untersuchungen in der herkömmlichen Schulform besser als in den
integrierten Gesamtschulen. Demgegenüber werde immer wieder behauptet, dass
Finnland genau das Gegenteil beweise. Das gelte jedoch nur auf den ersten
Blick, Finnland habe die Gesamtschule eingeführt, weil es ein Flächenland mit
geringer Einwohnerdichte und ein anderes System daher dort nicht finanzierbar
sei. Dennoch gebe es eine ausgesprochene Differenzierung in Form sehr kleiner
Klassen, in denen eine individuelle Förderung schwächerer Schüler schon während
des Unterrichts durch zusätzliche Lehrkräfte sichergestellt werde. Zudem
bestünden auch in Finnland formal einheitliche Schulen, die jedoch tatsächlich
Eliteschulen seien. Es komme nicht auf die verschiedenen Systeme an, sondern
darauf, die individuelle Förderung des einzelnen Kindes unabhängig von dessen
häuslichen Möglichkeiten zu gewährleisten. Beschluss: Der Rat
der Hansestadt Lüneburg überweist den Antrag einstimmig zur weiteren Beratung
in den Schulausschuss. (56a) |
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